Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
Vom Netzwerk:
empfände,
verhielte sich, erfüllt, in seine Hände.

    Verhielte sich wie Übermaß und Menge
und hoffte nicht noch Neues zu empfangen,
verhielte sich wie Übermaß und Menge
und meinte nicht, es sei ihm was entgangen,
verhielte sich wie Übermaß und Menge
mit maßlos übertroffenem Verlangen
und staunte nur noch, daß er dies ertrüge:
die schwankende, gewaltige Genüge.

    Daß ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht
Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.
Daß von den klar geschlagenen Hämmern des Herzens
keiner versage an weichen, zweifelnden oder
jähzornigen Saiten. Daß mich mein strömendes Antlitz
glänzender mache; daß das unscheinbare Weinen
blühe. O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein,
gehärmte. Daß ich euch knieender nicht, untröstliche Schwestern,
hinnahm, nicht in euer gelöstes
Haar mich gelöster ergab. Wir Vergeuder der Schmerzen.
Wie wir sie absehn voraus in die traurige Dauer,
ob sie nicht enden vielleicht. Sie aber sind ja
Zeiten von uns, unser winter-
währiges Laubwerk, Wiesen, Teiche, angeborene Landschaft,
von Geschöpfen im Schilf und von Vögeln bewohnt.

    Oben, der hohen, steht nicht die Hälfte der Himmel
über der Wehmut in uns, der bemühten Natur?
Denk, du beträtest nicht mehr dein verwildertes Leidtum,
sähest die Sterne nicht mehr durch das herbere Blättern
schwärzlichen Schmerzlaubs, und die Trümmer von Schicksal
böte dir höher nicht mehr der vergrößernde Mondschein,
daß du an ihnen dich fühlst wie ein einstiges Volk?
Lächeln auch wäre nicht mehr, das zehrende derer,
die du hinüberverlorest – , so wenig gewaltsam,
eben an dir nur vorbei, traten sie rein in dein Leid.
(Fast wie das Mädchen, das grade dem Freier sich zusprach,
der sie seit Wochen bedrängt, und sie bringt ihn erschrocken
an das Gitter des Gartens, den Mann, der frohlockt und ungern
fortgeht: da stört sie ein Schritt in dem neueren Abschied,
und sie wartet und steht und da trifft ihr vollzähliges Aufschaun
ganz in das Aufschaun des Fremden, das Aufschaun der Jungfrau,
die ihn unendlich begreift, den draußen, der ihr bestimmt war,
draußen den wandernden Andern, der ihr ewig bestimmt war.
Hallend geht er vorbei.) So immer verlorst du;
als ein Besitzender nicht: wie sterbend einer,
vorgebeugt in die feucht herwehende Märznacht,
ach, den Frühling verliert in die Kehlen der Vögel.

    Viel zu weit gehörst du in’s Leiden. Vergäßest
du die geringste der maßlos erschmerzten Gestalten,
riefst du, schrieest, hoffend auf frühere Neugier,
einen der Engel herbei, der mühsam verdunkelten Ausdrucks
leidunmächtig, immer wieder versuchend,
dir dein Schluchzen damals, um jene, beschriebe.
Engel wie wars? Und er ahmte dir nach und verstünde
nicht daß es Schmerz sei, wie man dem rufenden Vogel
nachformt, die ihn erfüllt, die schuldlose Stimme.

    DIE GESCHWISTER

    I
    O wie haben wir, mit welchem Wimmern,
Augenlid und Schulter uns geherzt.
Und die Nacht verkroch sich in den Zimmern
wie ein wundes Tier, von uns durchschmerzt.

    Wardst du mir aus allen auserlesen,
war es an der Schwester nicht genug?
Lieblich wie ein Tal war mir dein Wesen,
und nun beugt es auch vom Himmelsbug

    sich in unerschöpflicher Erscheinung
und bemächtigt sich. Wo soll ich hin?
Ach mit der Gebärde der Beweinung
neigst du dich zu mir, Untrösterin.

    II
    Laß uns in der dunkeln Süßigkeit
nicht der Tränen Richtung unterscheiden.
Bist du sicher, daß wir Wonnen leiden
oder leuchten von getrunknem Leid?

    Meinst du weinend, daß Entbehrung weher
als ein eigenmächtiges Geben sei?
Wenn die Menge einst der Aufersteher
uns entschwistert, und wir, irgend zwei,
bei der jäh enttötenden Fanfare
taumeln aus dem aufgestürzten Stein:
o wie wird dann diese sonderbare
Lust zu dir den Engeln schuldlos sein.

    Denn auch sie ist tief im Geiste, siehe:
in dem Strahlenden, der brennt und braust.
Und dann hilfst du mir auf meine Kniee
und dann kniest du neben mir und schaust.

    Siehe, Engel fühlen durch den Raum
ihre unaufhörlichen Gefühle.
Unsre Weißglut wäre ihre Kühle.
Siehe, Engel glühen durch den Raum.

    Während uns, die wirs nicht anders wissen,
eins sich wehrt und eins umsonst geschieht,
schreiten sie, von Zielen hingerissen,
durch ihr ausgebildetes Gebiet.

    Atmete ich nicht aus Mitternächten,
daß du kämest einst, um deinetwillen,
solche Flutung?
Weil ich hoffte, mit fast ungeschwächten
Herrlichkeiten dein Gesicht zu stillen,
wenn es in unendlicher Vermutung
einmal gegen meinem über ruht.
Lautlos

Weitere Kostenlose Bücher