Die Gefährtin Des Lichts erbin2
hinweg beobachtete.
Waren ihre Augen nicht grün gewesen? Jetzt waren sie braun und strahlten überhaupt keine Wärme aus.
»Interessant«, sagte sie. Si'eh wandte sich um und musterte mich ebenfalls. Mit dem Handrücken wischte er sich über ein Auge. Sie ließ ihre Hand auf seiner Schulter ruhen. Dann fragte sie: »Bist du seine Geliebte?«
»Das ist sie nicht«, antwortete Madding.
Die Frau warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu, der seine Wirkung aber nicht verfehlte. Madding mahlte mit den Kiefern. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, schien er Angst zu haben.
»Das bin ich nicht«, platzte es aus mir heraus. Ich hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging. Ich wusste nicht, warum Madding vor dieser Frau und dem kindlichen Gott so auf der Hut war, aber ich wollte nicht, dass Madding wegen meiner Torheit Schwierigkeiten bekam. »Sonnenschein lebt bei mir. Wir ... Er ist ...« Was sollte ich sagen? Lüge nie ein Gottkind an, hatte Madding mich vor langer Zeit gewarnt. Einige hatten die Menschheit seit Jahrtausenden studiert. Sie konnten zwar keine Gedanken lesen — so viel Privatsphäre hatten wir —, aber unsere Körpersprache war ein offenes Buch für sie. »Ich bin eine Freundin für ihn«, sagte ich schließlich.
Der Junge und die Göttin sahen sich kurz an. Dann bedachten beide mich mit entnervend vielsagenden Blicken. Erst zu dem Zeitpunkt bemerkte ich, dass Si'ehs Pupillen schlitzförmig waren, wie die einer Schlange oder einer Katze.
»Eine Freundin«, sagte Si'eh. Sein Gesicht und seine Augen waren jetzt ausdruckslos. Sein Tonfall war gleichförmig. Ich wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
Es klang so lahm. »Ja«, sagte ich. »Also ... jedenfalls sehe ich mich so.« Es wurde wieder still. Ich begann mich zu schämen. Ich kannte nicht einmal Sonnenscheins richtigen Namen. »Bitte hört auf, ihm wehzutun.« Diesmal flüsterte ich nur noch.
Si'eh und die Frau seufzten. Das Gefühl, dass ich mich auf einer schmalen Brücke über einem endlos tiefen Abgrund befand, ließ nach.
»Du sagst, du bist seine Freundin«, sagte die Frau. Zu meiner Überraschung schwang in ihrer Stimme Mitleid. Außerdem waren ihre Augen auf einmal haselnussbraun mit einem Hauch von Bernstein. »Nennt er dich auch so?«
Sie hatten es also bemerkt. »Ich weiß es nicht«, sagte ich. Für die Frage hasste ich sie. Ich sah Sonnenschein nicht an, der sich immer noch neben mir befand. »Er spricht nicht mit mir.«
»Frag dich einmal, weshalb«, fragte der Junge betont.
»Das habe ich.« Ich leckte über meine Lippen. »Es gibt viele Gründe, warum ein Mann nicht gerne über seine Vergangenheit spricht.«
»Nur wenige dieser Gründe sind gut. Seine sind es jedenfalls nicht.« Mit einem letzten, verächtlichen Blick drehte Si'eh sich um und ging fort.
Dann zögerte er, denn die schweigende Frau trat plötzlich vor und kam zu Sonnenschein und mir herüber. Ein überraschter Ausdruck huschte über sein Gesicht. Sie ging in die Hocke und balancierte dabei mit Leichtigkeit auf ihren nackten Zehen. Für einen flüchtigen Moment spürte ich ihr wahres Ich. Hinter der unscheinbaren Fassade verbarg sich eine Göttin. Es verschlug mir den Atem. Si'eh hatte mit seiner Gegenwart die Gasse erfüllt; sie aber erfüllte ... was? Es war zu gewaltig, um es zu erfassen, und zu differenziert. Den Boden unter meinen Knien. Jeden Ziegel und jeden Klecks Mörtel. Jedes ums Überleben kämpfende Kraut und jeden Film aus Schimmel. Die Luft. Die Abfalleimer hinten in der Gasse. Alles.
Genauso schnell, wie es begonnen hatte, war es vorüber. Sie war nur noch die kleine Frau aus Hochnord mit stechenden blauen Augen.
»Du hast wirklich großes Glück«, sagte sie. Zunächst war ich verwirrt. Dann erkannte ich, dass sie mit Sonnenschein sprach. »Freunde sind etwas Wertvolles und Mächtiges. Es ist schwer, sie zu verdienen und noch schwerer, sie zu behalten. Du solltest ihr dankbar sein, dass sie für dich ein Risiko eingeht.«
Sonnenschein zuckte neben mir. Ich konnte nicht sehen, was er tat, aber die Frau sah auf einmal verärgert aus. Sie schüttelte den Kopf und stand auf.
»Nimm dich vor ihm in Acht«, sagte sie. Diesmal sprach sie mit mir. »Sei seine Freundin, wenn du möchtest, und wenn er dich lässt. Er braucht dich mehr, als ihm bewusst ist. Aber um deinetwillen liebe ihn nicht. Dazu ist er nicht bereit.«
Schweigend vor Ehrfurcht starrte ich sie an. Sie wandte sich ab, ging an Madding vorbei und
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