Die Gefährtin Des Lichts erbin2
hatte ich mich durch Lils Anwesenheit von meinem Frühstück abhalten lassen?
Dann hatte ich eine Idee. Ich durchwühlte meine Taschen und war erleichtert, als ich feststellte, dass ich meine Malkreide für den Bürgersteig mitgenommen hatte. Kurzerhand ging ich vor meine Verkaufstische, hockte mich hin und überlegte, was ich zeichnen sollte.
Mit aller Macht formte sich ein Gedanke. Ich erschrak und schaukelte kurz auf meinen Zehen. Eigentlich hatte ich meine kreativen Schübe morgens, wenn ich im Keller malte. Ich hatte vorgehabt, nur ein paar lustige Bildchen zu zeichnen, um die Aufmerksamkeit auf meinen Tand und meine Waren zu lenken. Aber das Bild in meinem Kopf ... Ich leckte mir über die Lippen und überlegte, ob es eine gute Idee war, das zu tun.
Ich stellte fest, dass es gefährlich war. Daran gab es keinen Zweifel. Ich war blind, verdammt nochmal. Ich hätte gar nicht in der Lage sein dürfen, mir etwas vorzustellen — geschweige denn, es erkennbar darzustellen. Den meisten Menschen in der Stadt fiel dieser Widerspruch sicherlich nicht auf, und selbst wenn, würde es sie nicht kümmern. Aber für die Ordensbewahrer und die anderen, deren Aufgabe es war, nach ungenehmigter Magie Ausschau zu halten, wäre es verdächtig. Ich hatte die ganzen Jahre nur überlebt, weil ich vorsichtig war.
Aber ... Ich hob ein Stück Kreide auf und drehte das dicke, lange Stück zwischen meinen Fingern. Farben bedeuteten mir nicht viel. Sie waren nur Teil einer Substanz. Dennoch hatte ich mir angewöhnt, meine Malfarben und Kreiden zu benennen. Schließlich steckte hinter Farben mehr als nur das, was man sehen konnte. Die Kreide roch etwas bitter. Es war nicht das Bittere eines Nahrungsmittels, sondern die Bitterkeit von Luft, die zu dünn war, um sie einzuatmen; so, als ob man einen hohen Berg erklomm. Das musste Weiß sein. Damit passte es hervorragend zu dem Bild in meinem Kopf.
»Ich male ein Bild«, flüsterte ich und begann.
Ich zeichnete die Wölbung eines Himmels. Nicht den über Elysium oder einen Ausschnitt davon; nicht einmal den Himmel, der sich irgendwo über dem Baum befand und den ich nie gesehen hatte. Es würde ein dünnes, fast leeres Himmelsgewölbe entstehen, in dem sich mehrere Schichten intensiver werdender Farben miteinander vermischten. Ich malte ein dickes Fundament aus weißer Kreide und benutzte dazu beide Kreidestücke, bis nur noch ein Krümel übrig blieb. Zum Glück reichte es. Dann kratzte ich ein wenig Blau hinein — aber nicht zu viel. Es passte nicht zu dem Himmel in meinem Kopf, denn es war zu lebhaft, zu dick und fühlte sich ölig zwischen meinen Fingern an. Ich verwischte das Blau mit meinen Händen. Dann fügte ich eine weitere Farbe hinzu, ein gutes Gelb. Ja, das war richtig. Ich machte das Gelb noch dicker, rollte die Kreide immer über dieselbe Stelle und spürte, wie es immer kräftiger und wärmer wurde. Schließlich verschmolz es zu einem Licht im Zentrum meiner Komposition. Zwei Sonnen - eine groß, die andere kleiner - drehten sich in einem ewigen Tanz umeinander. Vielleicht konnte ich ...
»Hey.«
»Moment noch«, murmelte ich. Die Wolken an diesem Himmel waren mächtig. Sie waren dick und dunkel von drohendem Regen. Ich streckte die Hand nach etwas aus, das silbern roch, und zog es heran. Dabei wünschte ich, ich hätte mehr Blau oder Schwarz.
Jetzt kamen Vögel an die Reihe. Natürlich flogen an diesem hellen, leeren Himmel Vögel. Aber sie waren federlos ...
»Hey!« Etwas berührte mich und ließ mich zusammenzucken. Ich ließ die Kreide fallen und blinzelte benommen.
»W-was?« In dem Moment protestierte mein Rücken. Die Blutergüsse und Muskeln stachen schmerzhaft. Wie lange hatte ich gezeichnet? Ich stöhnte und streckte die Hand nach hinten, um mein Kreuz zu massieren.
»Danke«, sagte die Stimme. Sie klang nach einem Mann mittleren Alters. Ich kannte ihn nicht. Er erinnerte mich aber vage an Vuroy. Dann fiel mir ein, dass ich seine Stimme schon einmal gehört hatte. Er war einer der anderen Verkäufer. Der lauteste der drei, die ihre Waren angepriesen hatten. »Das ist ein netter Trick«, fuhr er fort. »Du hast eine schöne Menschenmenge angezogen. Aber die Südpromenade schließt bei Sonnenuntergang, also solltest du sie vielleicht nicht alle verpassen, hm?«
Menschenmenge?
Urplötzlich wurden mir die Stimmen um mich herum be- wusst. Es waren Dutzende, die sich um meine Zeichnung versammelt hatten. Sie murmelten und stießen wegen irgendetwas Rufe aus.
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