Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
laut, ein wenig zu dreist, ein wenig zu grobschlächtig. Sie reizte die Männer nicht nur, weil sie lebendig war, sondern weil sie zu viel von dieser Lebendigkeit besaß. Sie war eine Frau, die zum Kommen reizte, nie zum Bleiben, bei der man Sehnsüchte stillen konnte, aber sich zugleich sicher sein konnte, dass sie keine neuen hervorrief. Sie lockte für Stunden, aber fesselte nicht fürs Leben.
    »Marguerite«, sagte Alaïs leise. »Ich habe dir etwas zu essen gebracht.«
    Sie selbst, das wusste sie, würde keinen Bissen hinunterbekommen – aber Marguerite schien ihr verführbar. Das Essen hatte sie immer geliebt, nicht mehr als ihr Kind, jedoch so sehr, dass sie dieses Laster für sich beanspruchte, Roselina hingegen darben ließ und ihr mit strengen Tischsitten den guten Appetit und das gierige Stopfen austrieb.
    Marguerite blickte mit stumpfen Augen auf den Fisch. Dann schnellte ihre Hand vor, jedoch nicht, um danach zu greifen, sondern um die Platte aus Alaïs’ Hand zu schlagen. Die Soße troff auf den Holzboden, die Fliegen schwirrten hungrig.
    »Marguerite …«
    Da hob sie wieder die Hand, ergriff die andere Platte, die Alaïs balancierte, desgleichen den Korb, nahm ihn, ließ ihn auf den Boden krachen, sprang schließlich auf und stampfte mit der gleichen Inbrunst auf die Früchte, mit der sie einige Stunden zuvor noch das blutige Leinen auf das tote Gesicht der Tochter geklatscht hatte.
    Alaïs zuckte zusammen.
    »Marguerite, bitte! Ich weiß, dass dein Kummer übermächtig scheint und du …«
    »Mein Leben ist vorbei!«, unterbrach sie sie kalt.
    »Sag das nicht! Sie war deine Tochter, du wolltest das Beste für sie … aber du hattest doch ein Leben vor ihr. Ein Leben … neben ihr. Du hast immer gewusst, es zu genießen, dich daran zu erfreuen … wenn Roselina nicht zugegen war sogar noch mehr als in ihrer Anwesenheit.«
    »Meinst du?« Marguerite starrte sie mit irren Augen an. »Frauen, die aus der Armut kommen und keine Ehre haben … was bleibt ihnen schon anderes übrig, als auf Tischen zu tanzen und Wein zu saufen und Gold zu fressen, um glücklich zu sein? Aber das alles hat keinen Wert. Eine Nacht gleicht der anderen, jedes Lachen ist billig und schäbig, die Gosse bleibt die Gosse, auch wenn du dich auf Zehenspitzen in ihr drehst.«
    Unter der Düsternis, unter der Schuld regte sich das Gefühl von Kränkung in Alaïs. »Willst du sagen, ich stamme aus der Gosse, nur weil ich Vergnügen an den Avignoner Nächten habe?«
    Marguerite lachte kalt. »Du hast dein Herz nie an etwas gehängt«, sagte sie verächtlich. »Du weißt doch nicht, wofür du lebst. Du säufst, bis du nicht mehr klar denken kannst, und lebst einfach vor dich hin – möglichst so, dass du keine Opfer zu bringen hast. Aber ich … ich hatte Roselina. Und sie war so viel wertvoller, als ich es bin.«
    »Warum trittst du dich selbst in den Staub? Warum verachtest du, was von dir bleibt, wenn du nicht ihre Mutter bist? Warum war deine Liebe für sie wie ein Kerker, aus dem du fliehen musstest, um fröhlich zu sein? Und warum hasst du dich jetzt, anstatt dich ein wenig … frei zu fühlen?«
    Sie erwartete, dass Marguerite neue Beleidigung hinzusetzen, das Leben schlecht machen würde, das sie geteilt hatten. »Ich wollte nicht frei sein«, sagte sie leise. »Freiheit heißt für unsereins Hunger und Dreck. Ich wollte, dass sie es besser hat – genug zu essen und saubere Kleidung. Ach Alaïs … warum hast du nicht darauf geachtet, dass sie sauber bleibt?«
    Sie hatte jene Frage die ganze Zeit über erwartet, sich dagegen gewappnet, und nun traf sie sie doch schutzlos. »Ich …«, stammelte sie, »ich …«
    Doch Marguerite erwartete keine Antwort. Wortlos drehte sie sich um und ging hinaus.
    Alaïs musste sich regelrecht zwingen, Marguerite zu folgen. Gott allein mochte ahnen, was sie in ihrem Gemütszustand zu tun bereit war. Sie musste es verhindern – wenngleich sie sich nach etwas ganz anderem sehnte: sich zu verkriechen nämlich und nie wieder der anderen gegenübertreten zu müssen.
    Als sie in den Hof gelangte, war von Marguerite nichts zu sehen. Sie spürte Erleichterung, wollte sich dieses Gefühl aber nicht erlauben.
    Plötzlich nahm sie eine Bewegung wahr, aus jener Ecke des Hofs, in der sich der Eingang zur Küche und zur Bäckerei befand. Im Schatten der Mauer hockte Marguerite, hatte sich niedersinken lassen. Sie war nicht allein. Ein Mann saß bei ihr, einen Weinschlauch in der Hand. Er nuckelte daran wie

Weitere Kostenlose Bücher