Die Gefährtin des Medicus
wenigstens mein Kind.< Hätte ich gesagt, dass mein Kind genügend zu essen haben solle und nicht an der Schufterei sterben, dass ich mir bessere Kleidung für die Kleine erhoffte und eine bessere Zukunft, nun, vielleicht hätte er das nicht verstanden. Aber dass man sauber bleiben will, das hat er begriffen. Er hat mich nach Avignon gebracht … zu Giacinto … weil Giacinto keinem Pfaffen eine Gefälligkeit schuldig bleibt. Giacinto handelt mit Waren … und handelt mit geheimem Wissen. Vielleicht hat Laval mir auch gar nicht um meinet – oder Roselinas willen geholfen. Vielleicht war er einfach nur dankbar, weil ich Laurent davon abgehalten habe, eine zweite Todsünde zu begehen.«
Was war die erste?, wollte Alaïs fragen, die nicht wusste, von welchen Ketzern Marguerite da geschwafelt hatte.
Es blieb keine Zeit, etwas zu sagen. Einen Augenblick hatten die nüchternen Worte Marguerites Trauer bezähmt, nun brach sie sich erneut Bahn. Sie stieß einen Schrei aus, der Alaïs durch Mark und Bein ging – nicht nur verzweifelt und hoffnungslos, sondern unglaublich wütend.
»Es tut mir leid«, murmelte Alaïs. »Es tut mir so leid.«
Marguerite hörte sie nicht.
Sie hockten die ganze Nacht bei dem toten Kind, Alaïs schweigend, Marguerite nach dem schrecklichen Schrei nur mehr murmelnd. Dem Klang nach konnte Alaïs nicht entscheiden, ob es ein inbrünstiges Gebet war oder ein verbitterter Fluch. Als der Morgen graute, erschien ein Priester in Begleitung zweier Männer, um Roselina zu holen und zu beerdigen. Alaïs war sicher, dass Gasbert de Laval ihn geschickt hatte. Sie kannte den Mann nicht, und auch in Marguerites Gesichtsausdruck ließ nichts darauf schließen, dass sie ihn schon einmal gesehen hatte.
Alaïs, die die letzten Stunden über auf dem kalten Boden gekauert hatte, stand auf. Sie hatte Angst, Marguerite würde den Männern nicht gestatten, die tote Tochter wegzubringen, und wollte gerüstet sein, um die Tobende zu beschwichtigen. DochMarguerite hob nicht einmal den Blick. Dass die Tochter begraben werden sollte, stachelte sie nicht zu Widerstand an. Sie war nicht einmal bereit, sie zu begleiten. So erleichtert Alaïs auch war, weil sich die andere als gefasst erwies, so befremdet war sie, dass ihr an Roselinas Körper nichts zu liegen schien.
»Komm!«, sagte sie leise und stieß sie an den Schultern an. »Komm, du musst Abschied nehmen.«
Doch Marguerite rührte sich nicht. Man hatte Roselina schon in ein Tuch gerollt und hinausgetragen, als sie endlich zu reden begann. »Noch mehr tot als sie schon ist, kann sie nicht werden. Und noch dreckiger auch nicht«, bekundete sie.
Ratlos blieb Alaïs stehen, wollte sie zu nichts zwingen und zugleich nicht hinnehmen, dass sie starr hocken blieb. Nach einer Weile schließlich fiel ihr ein Mittel ein, Marguerites Lebensgeister zu wecken.
Sie eilte in die Küche und sammelte in zwei Schüsseln die Reste der köstlichen Speisen, die am Abend zuvor serviert worden waren, dabei innewerdend, dass es dort, wo die einen sterben und trauern, immer andere gibt, die sich die Wänste vollschlagen. Sie nahm von der Safranpastete und vom Fisch, der mit Reis und gerösteten Mandeln bestreut war. Einen mit farbigen Stoffen ausgekleideten Korb, der ansonsten zum Transport von Eiern diente, füllte sie mit Feigen und Datteln, Weintrauben und Nüssen.
Beladen eilte sie zurück in Roselinas Kammer, wo erdrückend der Blutgeruch hing. Er hatte bereits schwarze Fliegen angelockt, die lästig brummten, nicht nur über Roselinas rot durchtränkter Schlafstätte, sondern auch um Marguerites Gesicht. Jene hatte selten Eleganz versprüht und doch hatte Alaïs sie nie so elend gesehen. Ihre Haare hatten sich gelöst, fielen ihr strähnig ins Gesicht. Ihr Kleid war nicht nur fleckig vom Blut, sondern klebte vor Schweiß. Ihre Haut war nicht frisch und rosig, sondern aschfahl.
Bei ihrem Anblick ging Alaïs durch den Kopf, was Marguerite eben noch über Roselina gesagt hatte: Noch mehr tot als sie schon ist, kann sie nicht werden. Und noch dreckiger auch nicht.
Doch eine tote Marguerite deuchte sie noch entsetzlicher, noch grauenhafter als eine tote Roselina. Das Mädchen hatte stets den Eindruck vermittelt, es würde nicht in den Niederungen des Irdischen versunken sein, sondern darüberflattern wie ein Schmetterling – sei es, weil es eine entsprechende Leichtigkeit besessen hatte, sei es, weil Marguerite nichts anderes duldete. Doch Marguerite war immer ein wenig zu
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