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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Leib, war nackt und ungebunden.
    Sie lief der Familie stets ein wenig voraus, drängte, wenn sie rasteten, und wurde aufgeregter, als sie in die Nähe jener Stadt kamen, die den wichtigsten und größten Hafen der provença – lischen Küste beherbergte.
    Massives Kalkgestein, je nach Einfall der Sonnenstrahlen weiß oder gelblich schimmernd, kündigte sie an, desgleichen die dichten Nadelwälder. Mancherorts begegneten sie hier Holzarbeitern, die Bäume fällten, die zum Schiffbau bestimmt waren.
    Der Weg wurde breiter, und die Menschen, die darauf in die Stadt zogen, wurden zahlreicher: Kaufleute waren es vor allem, die von Marseille aus zu den großen Häfen des Königreichs von Neapel aufbrechen wollten: nach Trani, Bari und in die Stadt Neapel. Nun im Frühling brachten sie Brot und Wein, Salz und öl. Im Herbst hingegen, so wusste Alaïs’ Vater zu berichten, waren vor allem Schweinehändler unterwegs, nicht nur mit lebendem Vieh, sondern mit schon verarbeitetem Pökelfleisch, mit Wurst und Schinken.
    Legten die Händler den Weg zunächst noch schweigend zurück, so beteiligten sie sich eifrig am Stimmengewirr, kaum dass sie die Stadtmauer erreicht und durch das Tor in die kleinen Gässchen gelangt waren. Von dort ging es zum großen Marktplatz, wo die Meeresbrise – je nachdem, wie stark und aus welcher Richtung der Wind wehte – erfrischend salzig oder faulig stinkend in die Nase stieg.
    Alaïs hatte das Gefühl, ihre Ohren müssten bersten ob all der Rufe, die hier durcheinandergingen. Da stritt ein Händler mit dem anderen, weil jener sich um den festgelegten Höchstpreis für die Waren nicht geschert hatte. Da kutschierte einer laut fluchend ein Fuhrwerk durch die Menschenmasse, das mit Eisen beladen war – vom grimmigen Gesicht her zu schließen,schien er gewillt, jeden niederzufahren, der sich ihm in den Weg stellte.
    »Es ist für den Bau von Flotten bestimmt … und von Waffen«, erklärte Ray und beschrieb der immer noch quengelnden Ray – monda, um welche Waffen es sich handelte: spitze Pfeile und scharfe Dolche, Schwerter, die noch größer waren als sie, und Schilde, mit denen sich das funkelnde Sonnenlicht reflektieren und direkt in die Augen der Feinde schleudern ließ. Alaïs hörte nicht weiter zu. Eine Weinamphore war neben ihr zerbrochen, und der Händler suchte keifend den Schuldigen dafür auszumachen. Am Stand daneben kümmerte man sich nicht darum, sondern pries lautstark
Biscuits
an – jenes Brot, das eigens für die Seefahrer gebacken wurde.
    Fremde Laute nahm sie wahr – die Sprache der Genuesen, die nicht nur in Fréjus und Arles, sondern auch hier Handel trieben.
    Sie wollte weitergehen, noch mehr Eindrücke erhaschen, durstig nach jedem Tröpfchen Leben, wollte sich den Gedanken ans gleichfalls laute und schmutzige und enge Avignon hingeben – erstmals Erinnerungen, die ihr nicht weh taten. In einer Horde von Menschen, wo man so vieles wahrnimmt und sich so wenig davon merkt, zählten weder einzelne Gesichter noch einzelne Stimmen. Was der eine fühlte und was der andere trieb, ging unter wie ein winziger Kieselstein im weiten, mitreißenden Meer, und gerne tauchte sie ein, um nur eine von schrecklich vielen zu sein.
    Sie hielt erst inne, als ihr Vater sie am Arm packte und auf Emy deutete. Jener war vor den Ständen stehen geblieben, an denen gesalzenes, schon genau portioniertes Fleisch verkauft wurde.
    An dem Stand, wo das Fleisch frisch war, roch es verheißungsvoll. An anderen, wo es schon tagelang in der Sonne hing, verströmte es den süßlich – modrigen Geruch nach Fäulnis. Alaïs sah, wie Emy einige Worte mit den Händlern wechselte. Sie verstand nicht, was er sagte, sah jedoch, wie aufmerksam seine Miene war und wie entschieden er den Kopf schüttelte, als man ihm offenbar schlechtes Fleisch anzupreisen suchte. Dachte auch er anAvignon, an seine Zeit als Einkäufer, da er stets die beste Ware auszuwählen und auf den Preis nicht zu achten hatte?
    Diesem Luxus konnte er sich heute nicht hingeben. Immer noch kopfschüttelnd schloss er zu Alaïs und Ray auf.
    »Frisches Fleisch ist zu teuer«, stellte er fest. »Denkt euch! Für ein
Livre
Schafsfleisch verlangt man ganze fünf
Deniersl
Lasst uns nach ganzen Schafen sehen.«
    Die lebenden Tiere – Rinder und Pferde, Ziegen, Schweine und Zuchtschafe – wurden etwas außerhalb des Marktes verkauft. Der Blick auf den Hafen war hier verstellt, weswegen Ray es vorzog, nicht mitzukommen, sondern nahe am Wasser zu

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