Die Gefährtin des Medicus
bleiben. Beißend und schwer war der Gestank nach den Tieren. Alaïs hielt unwillkürlich die Luft an und versuchte, sich den Duft von kross Gebratenem vorzustellen.
Sie hatten in der letzten Zeit fast nie Fleisch gegessen. Zu Ostern hatten sie, wie es üblich war, geschmortes Zicklein genossen. Emy hatte es zubereitet und zu diesem Anlass erstmals wieder von Avignon geredet. Den Bediensteten des päpstlichen Hofes war dort der Lohn nicht selten in Form von frischem Fleisch ausgezahlt worden. An den Fleischtagen zwischen Ostern und Maria Himmelfahrt hatte es meist Lamm oder die Keulen von kastrierten Böcken gegeben.
»Schafshäute! Frische Schafshäute!«, brüllte eben ein Händler in ihr Ohr. »Zwölf könnt ihr für achtzehn
Sous
haben, oder dreizehn für einen
Florin
!«
»Wir wollen keine Haut, sondern das ganze Schaf«, erklärte Alaïs.
Sie hörte Raymonda auf Emys Arm kichern. Lachte sie – was selten genug geschah – über die Worte der Mutter oder den Anblick der vielen Tiere?
Der Händler wies nun in das Gatter, als Aufforderung, sie möge sich selbst ein Tier aussuchen. Der Geruch, der sich darüber staute, war noch bissiger. Dicht standen die Schafe an – einandergedrängt, nicht wenige mit räudigem Fell. Eine bessere Hausfrau als sie hätte wohl zu feilschen begonnen und den Preisordentlich heruntergedrückt. Doch sie hatte keine Lust, sich mit dem dicklichen Händler anzulegen, der wie seine Tiere stank, und Emy widersprach nicht, als sie plötzlich laut erklärte: »Den nehmen wir!«
Sie deutete auf einen Bock, der es irgendwie vermocht hatte, einen Bannkreis um sich zu ziehen und als Einziger alleine stand. Kohlrabenschwarz war sein Gesicht, das Fell mit Kot verklebt, aber zumindest buschig dicht.
»Ist aber ein besonders wilder Bursche!«, gab der Händler zu bedenken, als ginge es um einen störrischen Menschen, nicht um ein Tier.
Jener Einwurf forderte Alaïs geradezu heraus. »Das wollen wir schon sehen!«, bekundete sie grimmig und betrat das Gatter. Emys Lippen zuckten, Raymonda, die er auf seine Schultern gewuchtet hatte, juchzte, als stünde ein spannendes Schauspiel bevor. Alaïs dachte, dass die Tochter kaum jemals ihretwillen so begeistert geklungen hatte. Vielleicht tat sie es jetzt auch nur darum, weil ihr die Schafe gefielen, nicht aber die Mutter, die sich fluchend an ihnen vorbeidrängte und sich dem Bock näherte. Der senkte drohend seine Hörner, kaum witterte er sie, und stampfte auf den Boden wie ein wilder Stier.
Alaïs wickelte das Hanfseil, das sie mitgebracht hatte, fester um die Hand.
»Nun stell dich nicht so an«, murmelte sie. Als sie langsam auf ihn zuschritt, senkte er seine Hörner tiefer. Noch wagte er nicht zuzustoßen – zumindest so lange nicht, bis sie versuchte, das Seil um seinen Kopf zu schlingen. In diesem Augenblick freilich begann er wild den Kopf zu drehen, boxte ihr schließlich in die Oberschenkel, nicht schmerzhaft, weil er keinen Anlauf genommen hatte, aber lästig.
»Nun stell dich nicht so an!«, rief Alaïs wieder. Entschlossen presste sie ihre Lippen aufeinander und versuchte erneut, die Schlinge um den Hals des Tieres zu legen. Wieder brachte ihr das nur einen Stoß ein. Sie wankte, beinahe fiel sie.
Sie hörte ein Lachen. War es das des Händlers oder gar Emys?
Sie fühlte sich verspottet, bloßgestellt in einem plötzlich todernsten Kampf, den sie nicht gewinnen konnte. Mit beiden Händen versuchte sie nun, die Hörner festzuhalten. Kurz konnte sie den sich windenden Kopf auch packen – doch nun hatte sie keine Hand mehr frei, um das Seil aufzuheben, das auf den erdigen Boden gefallen war.
Wieder war ein Lachen zu hören, und diesmal kam noch etwas hinzu: ein widerspenstiger Blick aus dem kohlrabenschwarzen Gesicht – der Blick einer Kreatur, die sich nicht binden und halten lassen wollte.
»Verflucht!«, rief Alaïs, unerwartet den Tränen nah, als wäre ihr Unvermögen, den Widder zu binden, das Eingeständnis eines viel schändlicheren Scheiterns.
Da plötzlich hielt er den Kopf still. Sie vermeinte, er würde endlich nachgeben, sich ihren Händen fügen. Doch in dem Augenblick, da sie sich nach dem Seil bückte und es aufheben wollte, fuhr er zurück, tänzelte fast verspielt und rammte ihr dann seine Hörner mitten in den Leib.
Der Schmerz war so groß, dass er ihr die Luft zum Atmen nahm. Sie keuchte, kämpfte darum, stehenzubleiben. Gewiss würde er zu einem zweiten Stoß ansetzen, wenn sie sich nicht rechtzeitig
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