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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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andernorts längst verurteilt waren. Was soll er mit ihnen zu schaffen haben?«
    »Die Lage hat sich verschärft. Im letzten Jahr hat der Papst den Ordensgeneral der Franziskaner, Michel de Césène, nach Avignon eingeladen und – weil er ihm vorwarf, mit Ludwig von Bayern zu sympathisieren – ihn absetzen und einkerkern lassen. Seitdem gilt Infant Felips Hof nicht nur als Hort der radikalen Fratizellen: Immer mehr Franziskaner flüchten, können sie sich doch nicht sicher sein, wie weit der Papst in seiner Feindschaft gegen einen Teil der Minderen Brüder noch gehen wird und ob sich diese nicht eines Tages gegen sie ausweitet.«
    In Alaïs reifte Verstehen. Wer als Ketzer galt oder nicht, war ihr gleich, ebenso, mit wem der Papst stritt oder Infant Felip. Aber nun konnte sie sich zusammenreimen, was einen Frère Lazaire hierher getrieben hatte, dem Geltungssucht und Hoffart nie fremd gewesen waren und der die Armut und die Einfachheit gerne auf sich nehmen mochte – vorausgesetzt, genügend Menschen sahen ihm dabei zu. Ein Fischerdorf wie Saint – Marthe, wo man seine Predigten so gleichgültig schluckte wie lästige Gräten, die sich im frisch gebratenen Fisch nun einfach nicht vermeiden ließen, war ihm gewiss eine schlechtere Bühne gewesen als ein Königshof, an dem er sich die Aura des Rebellen ebenso verleihen konnte wie die des Verfolgten. Wenn einer wie er, mit stets fleckiger, zerrissener Kutte, ankam und über Verfolgung klagte, so würde gewiss niemand nachfragen, ob jene Verfolgungwomöglich nicht mehr gewesen war als ein spöttisches Wort von Ray, der wieder einmal gefragt hatte, ob er der betenden Guillelma nicht das wenige trockene Brot wegfraß.
    Auch Aurel hatte gelauscht, doch jetzt wandte er sich wieder dem älteren Mann zu.
    »Aurel!«, rief sie und zog ihn an den Schultern. »Aurel, wir müssen von hier fort! Verstehst du denn nicht? Wenn er dich erkennt … wenn er die Gelegenheit wittert, dich endlich der gerechten Strafe zu überführen … Ich weiß nicht, was dann passiert. Er wird alles tun, um dir zu schaden. Er … er hat gewiss mehr Einfluss auf den Regenten als seinerzeit auf den Comte de Robes sard! Er wird dich womöglich nicht zurück auf Navales Schiff lassen!«
    Während bislang alle Worte vergebens gewesen waren, wirkte die letzte Drohung. Hatte noch eben nur Unwillen in seiner Miene gestanden, regte sich nun Furcht.
    »Was schlägst du vor?«, fragte er.
    Sie überlegte fieberhaft. »Der Regent will mit Navale sprechen – wir sind ihm gleich. Lass uns versuchen, das Castell zu verlassen und irgendwie zurück zum Hafen zu gelangen.«
     
    Der erste Teil des Vorhabens gelang erstaunlich leicht. Sie überquerten den Innenhof, und wenn Alaïs auch aufgeregt nach allen Seiten spähte und insgeheim erwartete, Frère Lazaires vogelartiges Gesicht möge jeden Augenblick vor ihr aufragen, so stießen sie doch nur auf schweigende Mönche und ebenso schweigende Ritter, die alle nicht gewillt waren, sie aufzuhalten. Offenbar war es schwer, ungebeten in das Castell zu kommen, nicht jedoch, es wieder zu verlassen.
    Alsbald schritten sie über den tiefen Graben hinweg, doch nun, da das runde Gebäude hinter ihnen lag, ging Alaïs auf, worin die eigentliche Herausforderung ihres Vorhabens lag. Sie blickte über den dichten Wald hinunter auf die Stadt, auf unzählige kleine, verzweigte Gäs sehen zwischen den hellen Häusern mit den flachen Dächern, und auch wenn sie in der Ferne die Konturen vonLa Seu erkannte, hatte sie doch keine Ahnung, wie sie den Weg zurück finden sollten. Das Meer war, von hier oben aus betrachtet, nicht blau. Es funkelte silbrig, als wäre jener Spiegel des Himmels, der den Glanz seiner Herrlichkeit reflektierte, in tausend kleine Scherben zersprungen, dem hiesigen Menschen lediglich die sachte Ahnung schenkend, worüber die Engel dort droben vor Glückseligkeit weinten. Schön war es anzusehen – und viel zu weit weg, um es mit wenigen Schritten zu erreichen.
    »Und nun?«, fragte Aurel. Wenn er sich der überstürzten Flucht auch beugte, er überließ es ihr, den nächsten Schritt zu planen.
    Sie zuckte die Schultern, suchte die Grenzen der Stadt zu überblicken, aber sah, dass sich auch außerhalb der wuchtigen Mauern weitere Häuser aneinanderreihten.
    Plötzlich ertönte hinter ihnen ein Ruf. Sie zuckte zusammen, wähnte sich von Frère Lazaire ertappt. Doch die Stimme kam nicht vom Castell, sondern vom Weg, der von der Ciutat heraufführte. »Senyor?«,

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