Die Gefährtin des Medicus
hast, als sei er der Teufel selbst? Im übrigen ist er uns immer noch nicht gefolgt, sondern …«
»Ich habe ihn angestarrt?«, rief Alaïs entsetzt. »Hat er mich dabei etwa doch erkannt und …«
»Wer ist er denn nur, dass er dich in solche Angst versetzt!«
»Ich muss unbedingt Aurel finden!«, wiederholte sie.
Simeon folgte ihr schulterzuckend, als sie vorsichtig zuerst in die eine, dann in die andere Richtung sah, schließlich geduckt in den Innenhof flüchtete. Überall standen hier Wachen – nicht nur Mönche, sondern auch echte Ritter –, doch sie hielten sie nicht auf, sondern starrten durch sie hindurch. Im Innenhof, der zuvor vom gleißenden Sonnenlicht durchflutet gewesen war, fielen die Schatten nun höher. Ähnliche Krüge standen hier wie jene, die im Inneren den Minzeduft verbreiteten. Die einen waren mit Thymian, andere mit Lorbeer und Myrte gefüllt. Alaïs hastete an einem plätschernden Brunnen vorbei; der Ort erweckte eher den Eindruck eines Klosters als den einer wehrhaften Burg.
»Warum ist Aurel Autard überhaupt so plötzlich fortgegangen?«, fragte Simeon.
»Wenn Aurel verschwindet, dann hat das nur einen einzigen Grund: Er hat irgendwo einen Kranken entdeckt – oder einen anderen Arzt.«
Simeon wölbte skeptisch die Augenbraue, doch Alaïs war viel geübter darin, das Trachten des
Cyrurgicus
zu durchschauen. Schon im nächsten Augenblick stellte sich heraus, dass sie recht hatte. Simeon stieß einen erstaunten Pfiff aus, als er Aurel erkannte, der nicht weit vom Brunnen entfernt mit einem graubärtigen Mann sprach. Sie saßen neben blühenden Resedapflanzen, um sie herum standen Krüge, in denen Safranblüten getrocknet wurden, die die Mücken vertreiben sollten.
Aurel blickte kaum hoch. »Der Leibarzt des Regenten«, erklärte er lediglich knapp, als ihre Schatten auf ihn fielen. »Stell dir vor … wenn ich ihn recht verstehe, dann werden Tumore hier nicht exstirpiert oder ausgebrannt, sondern mit einer Salbe behandelt, die man aus dem Pulver der Herbstzeitlosen bereitet. Und denk dir …«
Alaïs achtete weder auf seine Worte, noch auf den älteren Mann. Sie verschwendete auch keine Gedanken daran, wie es ihm in der kurzen Zeit gelungen sein mochte, den richtigen Gesprächspartner ausfindig zu machen.
»Er ist hier!«, schrie sie aufgeregt. »Er ist hier!«
Nun endlich hob Aurel den Blick. »Wer ist hier?«, fragte er unwillig.
Simeon war näher getreten. »Das würde mich auch interessieren«, warf er ein.
»Frère Lazaire!«, rief Alaïs.
»Wer ist das?«, fragte Aurel verwirrt.
Zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch sehnte sie sich nach Emy. Er würde es nicht vergessen haben – weder Frère Lazaire noch die Ereignisse in Saint – Marthe. Er würde wissen, dass jener Mönch, der unerwartet hier im Castell Bellver auftauchte und in der Gefolgschaft eines Regenten, der selbst gerne Mönch wäre, lebte, ihn einst beim Leichenstehlen ertappt hatte und ihn gerne dafür verurteilt gesehen hätte, am besten als Ketzer. Comte Henric hatte seinem Wunsch zum Glück nicht entsprochen, da er eine eigene Rechnung mit dem Orden des Mönchs offen gehabt hatte. Doch hier – hier gab es keinen schützenden Comte.
»Frère Lazaire!«, rief sie wieder. »Erinnerst du dich denn nicht? Oh, ich bin sicher, er erinnert sich an uns! Dein Gesicht wird ihm nicht fremd sein, so deutlich hast du dich nicht verändert. Und mich kennt er seit Kindestagen! Wenn er mich vorhin eingehender gemustert hätte … Aber wie kommt er nur hierher? Meine Mutter hat mir einst nach Avignon geschrieben, er habe nach Guillelmas Tod Saint – Marthe verlassen … Was macht er nur ausgerechnet hier?«
Sie verhaspelte sich beim Reden.
»Es war also tatsächlich einer der Franziskaner, der dich so erschreckt hat?«, schaltet sich Simeon ein.
Alaïs nickte.
»Nun, ich kann mir vorstellen, was ihn hierher treibt. Wie ich vorhin schon sagte: Aus ganz Europa strömen sie zusammen … vor allem jener Teil von ihnen, die Fratizellen, die vom Papst als Häretiker verdammt wurden.«
Alaïs zuckte die Schultern. Wieder stieg unscharf ein Bild vor ihr auf, diesmal nicht von Giacinto und wie er ihr die Zusammenhänge begreiflich zu machen suchte, sondern von Laurent Bon – redon, der sich aufhängen wollte, weil er mit der Schuld nicht fertig wurde, verraten zu haben, was er einst geglaubt hatte.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frère Lazaire ein Fratizelle ist! Er hat noch in Saint – Marthe gelebt, da jene
Weitere Kostenlose Bücher