Die Gefährtin des Medicus
rief ein Mann fragend und trat auf Aurel zu.
Sein Gesicht deuchte sie vertraut, obwohl sich die meisten Männer hier glichen: Dunkelbraune Gesichter hatten sie, tiefe Furchen und verhornte Hände.
»Senyor?«, fragte er wieder an Aurel gewandt, der ihn nur befremdet anglotzte. »Ihr seid doch auch von Navales Schiff, nicht wahr?«, setzte er hinzu. »Ich habe Euch dort gesehen.«
Das Gefühl, ihn zu kennen, hatte sie also nicht getrogen.
»So ist es!«, schaltete sich Alaïs eifrig ein.
Sie erkannte, dass er nicht alleine gekommen war, einige Männer waren ihm gefolgt, die sie nun einkreisten. Rasch erklärte sich, was sie hierher trieb; die Sorge um den Herrn. Sie waren damit beschäftigt gewesen, das Schiff neu zu beladen, als sie beobachtet hatten, wie die Männer des Infanten ihren Herrn Pio Navale mit sich nahmen. Nun wollten sie erkunden, was ihm zugestoßen war und ob er Hilfe brauchte.
Schließlich erblickten sie auch Simeon, der sie zu beschwichtigen vermochte. »Signore Navale ist des Infanten Gast, kein Gefangener«, erklärte er schnell.
»Aber wir«, rief Alaïs hastig dazwischen, »wir sind hier nicht geduldet. Wir müssen sofort zurück zum Schiff. Dorthin könnt ihr uns doch bringen, nicht wahr?«
Der Mann schüttelte bedauernd den Kopf.
»Wir werden erst wieder in zwei Tagen zum Schiff zurückkehren …«
Die Zeit deuchte Alaïs ewig. »Aber warum …«
»Ich habe den Auftrag, zu den großen Minen im Westen zu ziehen, den Salinen von Banyos de San Juan, um dort Salz für die Reise zu kaufen. So war es geplant, und solange werden wir auch vor der Ciutat ankern. Wir haben den Aufbruch nur verzögert, um nachzufragen, was hier geschehen ist. Doch nun wollen wir uns sofort auf den Weg machen. Ein Teil des Salzes ist für Senyor Navale bestimmt, der andere für seinen Bruder. Er ist ein Kaufmann und lässt hier auf der Insel regelmäßig seine Salzvorräte auffüllen.«
Flüchtig stieg Giacintos Gesicht vor ihr auf. Das sah ihm ähnlich, die Reise des Bruders zu nutzen, um an teures Handelsgut zu kommen – und Salz, das wusste sie von ihrem Bruder Raimon, der
Salerius
war, war ohne Zweifel ein solches.
Sie blickte über die Schultern des Mannes und sah schon mehrere Holzwagen bereitstehen, desgleichen Maultiere mit Transportkörben rechts und links. Ein paar der Männer, die ihn begleiteten, waren bewaffnet – wohl, um sämtliche Diebesbanden und Schmuggler, die auf der Wegstrecke lauern mochten, abzuschrecken.
»Dann könnt Ihr uns vielleicht auf andere Weise helfen«, entschied Alaïs. »Es ist doch möglich, euch zu begleiten, oder nicht? Also tun wir das und kehren später mit euch aufs Schiff zurück.«
Aurel runzelte die Stirne. »Denkst du wirklich …«
»Wir wissen nicht, was passieren wird!«, unterbrach sie ihn scharf. »Was, wenn der Infant Navale für die Zeit seines Aufenthalts in der Ciutat einlädt, sein Gast zu sein? Sollen wir uns alleine hier herumtreiben? Wir sprechen nicht einmal die Sprache dieses Landes!«
Aurel war nicht der Einzige, vor dem sie sich zu rechtfertigen hatte. »Wollt ihr tatsächlich die Mühen solch einer Reise auf euch nehmen?«, fragte nun auch Simeon.
Sie antwortete nicht, sondern gab ihm die Anweisung, Pio Navale von dem zu unterrichten, was geschehen war.
Simeon verzog nachdenklich das Gesicht. »Und das alles wegen des Mönchs.«
»Es ist doch nur für kurze Zeit«, beschwichtigte sie nicht nur ihn, sondern auch sich selbst. Langsam ließ der Schreck nach. Nun, da keine Gefahr mehr von Frère Lazaire drohte, musste sie beinahe lachen. Nun hatte es der Bettelbruder, dem ihr Vater stets unterstellt hatte, in Wahrheit auf ein weiches Bett und gutes Essen aus zu sein, immerhin an den Hof eines Regenten geschafft, wenn auch eines asketischen.
»Nur für kurze Zeit …«, bekräftigte sie. »In zwei Tagen kehren wir zurück, und unsere Reise nimmt ihren Fortgang.«
Sie durchquerten das Landesinnere, an sandfarbenen Steinen vorbei, die Erdrutsch und umgeknickte Bäume an vielen Stellen aufgeschürft hatten. In allen Schattierungen von Rot quoll Erde hervor: warm – bräunlich, grell – feurig, schlammig – trüb. Die Luft war satt vom durchdringenden Duft des Südens – nach stacheligen, knorrigen Wäldern, nach sonnengegerbtem Land, nach salziger, fischiger Brise. Nachdem sie den ersten Teil der Wegstrecke zurückgelegt hatten, glänzte in der Ferne wieder das Meer. Schroff fiel an manchen Stellen die Küste ab. Einige Felsbrocken
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