Die Gefährtin des Medicus
doch nur aus der Starre. Als irgendjemand, der vorbeilief, ihr den Ellbogen in den Leib stieß, schwappte die Panik auf sie über. Sie stürzte zurück in das Haus, wo Aurel mit dem verletzten Jungen saß. Er hob fragend den Blick. Der Trubel war ihm nicht entgangen, doch seine Neugierde reichte nicht aus, um ihn nach draußen zu treiben. Voller Entsetzen stieß Alaïs Worte aus, wollte alles erklären, doch was sie sagte, klang wirr.
Der Junge begriff eher als Aurel. Ungeachtet der blutenden Wunde stürzte er ins Freie, und Aurel blickte ihm nach, zunächst mit einem verwirrten Ausdruck, dann mit einem gekränkten, als hätte Alaïs ihm böswillig einen Patienten geraubt.
Wieder schrie sie, diesmal etwas von Mauren und dass sie fliehen mussten, und immer noch blieb sein Blick verständnislos.
Sie packte ihn an den Schultern, zog ihn hoch. »Nun komm doch!«, kreischte sie.
Endlich dämmerte Verständnis in seinem Blick, doch anstatt ihr zu folgen, bückte er sich rasch, um seine Instrumente einzusammeln. Sie wollte nicht abwarten, bis er fertig war.
»Bist du verrückt geworden!«, herrschte sie ihn an, weil er die Zeit so sinnlos verschwendete.
Sie ließ ihn zurück und hastete ins Freie, um vor den Mauren zu fliehen.
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XXX. Kapitel
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So viel passierte gleichzeitig, dass Alaïs nicht wusste, wo sie die Augen haben sollte. Da sprangen Männer direkt vom Bug des Schiffes ins Meer, um alsbald aus den Fluten aufzustehen und immer näher Richtung Ufer zu waten, die einen mit runden Säbeln bewaffnet, die anderen mit Pfeil und Bogen. Da liefen schreiend Menschen am Ufer umher, die einen panisch im Kreis, weil sie nicht wussten, wohin sie in der Eile fliehen sollten, die anderen auf der Suche nach greinenden Kindern, wieder andere bestrebt, nicht nur sich, sondern auch den spärlichen Besitz in Sicherheit zu bringen. Eine Frau hatte sich mit ihrem sämtlichen Hausrat beladen und kämpfte darum, eine störrische Ziege mit sich zu ziehen. Die wehrte sich allerdings so heftig, dass der Frau Stoffballen, Tonkrug und Werkzeug entglitten. Mit nunmehr beiden Händen riss sie am Seil der Ziege, die sich immer noch gegen die rüde Behandlung wehrte. Doch die Frau konnte einfach nicht von ihr lassen.
Warum gibt sie das Tier nicht auf?, fragte sich Alaïs und gewahrte erst jetzt, dass sie selbst erneut stehengeblieben war anstatt davonzulaufen.
Endlich fuhr sie herum, raffte ihre Röcke und rannte los. Ins Landesinnere!, dachte sie. Weg vom Meer!
Einige Schritte lang hörte sie nur das eigene Herzpochen, den keuchenden Atem, dann vernahm sie plötzlich Schritte hinter sich. Sie lief schneller, wähnte schon einen Verfolger auf ihren Fersen, da hörte sie den Ruf: »Alaïs!«
Zunächst war sie verwirrt, dass die Mauren ihren Namenkannten, um dann freilich zu gewahren, dass es Aurel war, der ihr folgte, den Ledersack mit seinen Instrumenten trug er auf dem Rücken.
»Weg vom Meer!«, keuchte Alaïs.
»Dort oben! Siehst du den Turm?«
Bis jetzt hatte Alaïs nur auf den sandigen Boden geachtet, nun blieb sie kurz stehen und hob den Kopf. Dem flachen Küstenstreifen folgte eine Anhöhe, und darauf errichtet war ein kleiner, steinerner Turm, wie sie schon manchen entlang der Küste gesehen hatte. Vielleicht hatten einst die Mauren diese errichtet, als ihnen noch die Insel gehörte, vielleicht aber die Truppen von König Jaume I., als er die Insel befreite, die er fortan freilich vor Angriffen hatte schützen müssen.
Sie war sich nicht sicher, ob das ein brauchbares Versteck war, ob man sie hier nicht als Erstes suchen würde. Allerdings – ein anderes gab es nicht. Die Mandel –, Lorbeer – und Olivenbäume, selbst die Zypressen waren zu dürr und trocken, um in ihrem Geäst Unterschlupf zu finden. Die Pinien mit ihren Nadeln und bauchigen Früchten waren hingegen zu weit entfernt. Alaïs sah, dass ein kleiner Weg zu dem Türmchen hochführte. Es musste ein Maultierpfad sein, denn die Spuren von Hufen hatten sich tief eingegraben, überwuchert von wildem Fenchel, dessen Geruch ihr durchdringend in die Nase stieg.
Wieder hörte sie eine Weile nur das Dröhnen der eigenen Schritte, ihren Atem und den von Aurel – als plötzlich hinter ihnen ein zischender Laut ertönte. Sie fuhr herum, sah, wie die dunklen Gestalten das Dorf erreichten, wie die einen Menschen packten und mit sich schleppten wie Tiere und wieder andere einen Regen an Pfeilen auf jene ergossen, die Widerstand leisteten. Und es kamen mehr, immer
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