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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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ihren Händen ausgeliefert – wenn sie es denn überhaupt gewagt hätte, ihn anzufassen. Sie tat es nicht, war überzeugt, dass sie ihn an diesem Tag so oft und zu solch grässlichem Zwecke berührt hatte, dass es für ein Menschenleben reichte.
    Dass er zwar stöhnte, aber sich nicht gequält hin und her wälzte, bedeutete wohl, dass sein Schlaf ausreichend tief war, um ihn vor unerträglichen Schmerzen zu schützen.
    Rasch erhob sie sich wieder, ging nach draußen, atmete gierig frische Nachtluft. Erst als sie vermeinte, nicht mehr zu ersticken, hörte sie es: ein kehliges Summen, ausgestoßen von einem, der Musik liebt, aber nicht singen kann, vermengt mit einzelnen Silben einer fremden Sprache. Es kam von oben, und als sie den Blick hob, sah sie auf einem der Dächer der ebenerdigen Häuser Sancho sitzen.
    »Warum bist du nicht auf dem Schiff?«, entfuhr es ihr.
    »Und wer wäre dann hier, um euch … dich zu bewachen?« Nur kurz hatte er innegehalten, dann nahm er das Summen wieder auf, unmelodisch, aber mit einem mitreißenden Rhythmus.
    »Wo ist Aureis Bein?«, fragte sie. Sie hatte forsch klingen wollen – sie wusste nicht, was von diesem Sancho zu halten war –, doch während sie die Frage stellte, begann ihre Stimme verräterisch zu zittern, so, als würde sie entweder losprusten oder aber aufschluchzen.
    Wieder hörte Sancho zu summen auf, stützte seinen Arm auf den Rand des Dachs und schwang sich herunter. Er landete weich und lautlos wie eine Katze.
    »Hab’s vergraben, oder willst du es dir als Andenken aufheben?«
    Spott klang durch seine Stimme, und sie war sich nicht sicher, ob er ihr galt oder Aurel. Beides deuchte sie nicht angebracht – und war zugleich so ungemein tröstlich. Sancho schien keiner zu sein, dem die Erinnerung an die blutige Amputation das restliche Leben beflecken würde.
    »Warum schläfst du nicht?«, fragte er. Gemächlich, nunmehr nicht mehr summend, sondern pfeifend, trat er näher.
    »Bei ihm?«, gab Alaïs zurück.
    »Ist er dein Bruder oder dein Mann?«
    »Weder noch.«
    »Und sonst? Hast du irgendwo anders Bruder und Mann?«
    Sie zuckte die Schultern, um Zeit zu schinden, wollte weder Felipe noch Raimon verleugnen und auch nicht Emy. Emy, das dachte sie nun, würde bei Aurel sitzen, seine Hand halten, überlegen, welche heilende Medizin er brauen könnte, ihm die Stirn abtupfen. Er würde nicht vor ihm fliehen, ehe er die Gewissheit hätte, dass sein Bruder überlebte.
    »Aurel und ich«, sagte Alafs, »sind zu einer weiten Reise aufgebrochen. Mit besagtem florentinischem Kaufmann.«
    Er schien sich damit zu begnügen, dass es das war, was sie mit Aurel verband, nichts weiter. Immer näher war er ihr gekommen, blieb nun so dicht stehen, dass sie ihn roch.
    »Ich werde morgen in die Ciutat aufbrechen, um eurem Pio Navale Nachricht zu bringen«, bekundete er.
    »Warum tust du das? Du schuldest uns nichts.«
    »Akil will es so.«
    »Aber Akil hat dir nicht befohlen, mir heute Nachmittag zu helfen. Und trotzdem hast du es getan.«
    Er summte, und diesmal klang es unnatürlich hoch.
    »Ich mag mutige Weiber.« Seine Zähne blitzten auf, als er grinste. Sie erwiderte sein Lächeln, dankbar, weil es ihr so mühelos gelang und ihre Mundwinkel dabei nicht schmerzten.
    »Die Häuser hier sind leer«, setzte er der Stille, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte, ein Ende. »Die Menschen, die hier einst lebten, sind vor den Mauren geflohen. Such dir selbst aus, wo du schlafen willst, wenn du’s bei ihm nicht aushältst.«
    Er nickte ihr zu, dann wandte er sich weiterhin summend ab, um wieder aufs Dach zu klettern.

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XXXIII. Kapitel
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    Die nächsten Tage brachte Aurel im Dämmerschlaf zu. Manchmal lag er starr wje ein Toter, und Alaïs musste sich dicht über ihn beugen, um zu prüfen, ob er überhaupt noch atmete. Dann wieder wälzte er sich schwitzend, fuhr schreiend hoch und verlangte nach etwas zu trinken. Sie träufelte ihm Wasser, Brühe und Wein ein, doch meist brachte er nicht mehr hinunter als wenige Schlucke. Schwer ließ er sich danach wieder auf sein Lager sacken und schlief ein. Manchmal zuckte sein Leib, manchmal flackerten seine Augen. Dann ahnte sie, dass sein Körper gegen Fieber kämpfte und gegen Schmerzen.
    Seine Haut fühlte sich glühend heiß an, aber vielleicht lag das nur an der brütenden Sonne, die tagsüber das niedrige Haus zu einer Glutkammer machte. Jeden Abend war sie so erschöpft, als hätte ihr eigener Leib über Stunden gegen den

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