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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Weise wie Ray und Caterina niemals ganz zu ihnen gehört hatten.
    Aber nun lernte Alaïs, dass eine vermeintlich böse Frau, wie sie es in den Augen der anderen war, aus einem bislang ganz gewöhnlichen Mann einen besonders guten machte, weil diese Bosheit umso dunkler schien, je heller man den anderen malte.
    »Der beste von allen!«, wiederholte Dulceta. »Er hat sich um Raymonda gekümmert wie eine Mutter und hat trotzdem härter gearbeitet als jeder Mann! Nie hat er ein schlechtes Wort über dich und seinen Bruder verloren! So einen Mann hast du nicht verdient.«
    Alaïs presste die Lippen zusammen. Sie hoffte, dass Dulceta an ihren Zügen nicht abzulesen vermochte, welchen Stich ihr diese Worte versetzten – heftiger und schmerzhafter als erwartet.
    »Warum sollte er öffentlich über mich lästern?«, gab sie schroff zurück. »Was geschehen ist, geht nur Emy und mich etwas an – euch aber ganz gewiss nichts.«
    Noch als sie den Namen aussprach, erinnerte sie sich daran, dass er ihr verboten hatte, ihn so zu nennen. Seine leise, raue Stimme hallte in ihren Ohren.
Nenn mich nie wieder Emy. Nie wieder! Nie wieder! Aurel hat mich so genannt …
    »Du bist eine Schande für unser Geschlecht! Wie gut, dass deine Mutter das nicht mehr erleben musste!«
    Alaïs verdrehte die Augen. Trotz der zänkischen Stimme klangen Dulcetas Worte nicht wirklich aus der Wut geboren, sondem nachgeplappert. Die Empörung über Alaïs’ Verhalten schien nicht aus ihrem eigenen Urteil zu erwachsen, sondern weil sie das der anderen – wohl vor allem das von Régine – oft genug gehört hatte.
    »Meine Mutter war manchmal streng und unnahbar, und sie hatte ständig Angst um mich. Aber gleich, was ich getan hätte, nie hätte sie sich von mir abgewendet. Und mein Vater auch nicht.«
    Noch während Alaïs es aussprach, dachte sie, dass Dulceta es ganz gewiss nicht wert war, diese Worte zu hören. Den Eltern selbst hätte sie sie sagen sollen, als diese noch lebten: dass sie nie an deren Liebe gezweifelt hatte, dass sie trotz aller Sehnsucht nach dem Fremden nicht blind dafür gewesen war. Jetzt war es zu spät dazu. Zu spät auch, Emy Emy zu nennen. Zu spät, Raymonda eine Mutter zu sein.
    Wie erbärmlich, ging es ihr durch den Kopf, wie erbärmlich, dass es niemand anderen gibt, mit dem ich reden kann, als Dulceta.
    »Warum bist du überhaupt zurückgekommen?«, fragte jene eben. »Warum bist du nicht fortgeblieben?«
    Zu ihrer Erleichterung musste sie nicht antworten, denn eben rief jemand laut Dulcetas Namen. Wahrscheinlich war es Régine, die einst dem eigenen Bruder mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte als den eigenen Kindern, die aber, nachdem Dulceta Söhne geboren hatte, ebenso streng auf diese achtete wie früher auf Josse.
    Alaïs wollte nicht mit ihr zusammentreffen und wandte sich hastig ab. Doch ehe sie fortgehen konnte, ertönte der Ruf ein zweites Mal, und diesmal entging ihr nicht, wie aufgebracht, ja geradezu verzweifelt er klang. Dann kam Régine schon herbeigelaufen, etwas humpelnd ob ihrer morschen Knochen und mit ihr ein paar andere Frauen des Dorfes, die Alaïs nicht kannte, vielleicht auch einfach nicht erkennen wollte.
    Sie duckte sich aus Angst, von schmähenden Blicken und noch schmähenderen Worten getroffen zu werden, doch niemandscherte sich um sie. Sie schlossen Dulceta in einem Kreis ein, als könnten sie sie solcherart vor der rauen Wirklichkeit schützen. Doch ihre verängstigten Mienen ließen das Grauen auf Dulceta überschwappen. »Was ist denn geschehen?«, fragte sie panisch.
    Einer ihrer Jungen begann zu heulen, woraufhin eine der Frauen ihn rasch packte und zur Seite schob, als wäre der Mutter in dieser schweren Stunde nicht auch noch ein plärrendes Balg zuzumuten.
    »Dein Mann …«, stammelte Régine, »Pierre …«
    »Was ist mit ihm?«
    »Er wollte den Stier kastrieren. Doch weil er ihn nicht richtig festgebunden hat, hat der ihn mit den Hörnern aufgespießt.«
     
    Alaïs folgte Dulceta, ohne zu wissen, warum sie es tat. Mit einem Aufschrei war diese zu Boden gesackt, doch ehe Alaïs auch nur versuchen konnte, ihr aufzuhelfen, traf sie Régines abweisender Blick. Freilich war Régine danach zu sehr mit der Tochter beschäftigt, um der Angefeindeten noch mehr Verachtung zu bekunden. Alle, die von dem Unfall gehört hatten, waren zu abgelenkt, und so ging Alaïs das erste Mal, seit sie nach Saint – Marthe zurückgekehrt war, unbehelligt durchs Dorf, ward weder mit Schweigen bestraft noch

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