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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Augen tränten. Sie kniff sie zusammen, und als sie sie wieder öffnete, gewahrte sie, dass Aurel ihr ins Wasser gefolgt war, um sich seinerseits zu reinigen. Er vollführte nicht minder wilde Bocksprünge als sie, und noch mehr Wasser spritzte hoch. Tränen quollen ihr aus den geröteten Augen, liefen ihr in den Mund, vertrieben den säuerlich-galligen Geschmack nach Erbrochenem.
    »Hast du es gesehen?«, rief er. Es klang wie ein Juchzen. »Ichhabe noch nie zuvor einen Knochen geöffnet, um das Mark zu erforschen, das ihn nährt. Es ist gar nicht porös, sondern ölig und fettig.«
    Sie konnte sich nicht erinnern, dieses Knochenmark gesehen zu haben, aber der Ekel verflog allmählich. Die frischen Wasserspritzer belebten sie und umso mehr Aureis verrückte Sprünge, die den eigenen glichen. Sie tanzte im Meer, bis sie erneut die Augen zusammenkneifen musste, weil sie nichts mehr sah, und diesmal schaute er ihr dabei zu, ja, diesmal tanzte er mit ihr.
    »Natürlich habe ich es gesehen!«, rief sie mit einer kieksenden Stimme, die fremd klang – vielleicht, weil so viel Wasser in ihre Ohren gedrungen war.
    »Ich werde bald mehr über Anatomie verstehen als sämtliche meiner Professoren!«, schrie er begeistert, und dann plötzlich spürte sie, wie seine Hände nach den ihren suchten, sie ergriffen, einige Drehungen mit ihr vollführten. Sein Leib, den sie für die Dauer eines Wimpernschlags an sich gepresst wähnte, war sehnig, hager und kalt vom Wasser. Durch ihren eigenen ging ein Ruck, als hätte eine neuerliche Ladung Wasser sie getroffen, und ihre Haut begann zu glühen.
    »Und ich helfe dir dabei!«, rief sie zurück. Sie rieb sich die Augen und wankte Richtung Ufer, nachdem Aurel sie wieder losgelassen und sich von ihr abgewandt hatte.
    Emy hockte dort. Er war ihnen nicht gefolgt und spritzte auch nicht wild um sich, als er sich reinigte. Gleichmütig badete er seine Hände im flachen Wasser, so langsam und bedächtig, dass er den sandigen Grund nicht aufwühlte.
     
    Alaïs konnte sich nicht erinnern, jemals so erschöpft gewesen zu sein wie in der Zeit, die folgte – und jemals so wach. Ihr fehlte der Schlaf, denn sie verbrachte die meisten Nächte im Schuppen, und zugleich war sie sich sicher, ihn ohnehin nicht zu finden, solange sie Aurel in ihrer Nähe wusste.
    Ihr graute vor dem, was er tat, und es zog sie magisch an. Sie scheute sich, ihm nahezukommen, und sehnte sich danach, dasser sie wieder berühren würde so wie am Morgen im Meer. Sie fühlte sich verpflichtet, ihn zurechtzuweisen, und spürte zugleich den Drang, ihn zu beschützen.
    Wie sie schlief auch Aurel kaum. Doch anders als ihr schien ihm der Schlaf nicht zu fehlen. In den folgenden Nächten zerlegte er Louises Arme in viele Einzelteile, benannte die einen als Nerven, andere als Sehnen und Bänder und machte genaue Zeichnungen davon. Wenn es irgendwann gelte, einen solchen Arm zu operieren, müsse er genau wissen, wo er schneiden dürfe und wo ein Nerv verletzt werden könne, meinte er.
    Louise begann unerträglich zu stinken und verlor immer mehr die menschliche Gestalt. Irgendwann fühlte sich Alaïs in ihrer Nähe wie beim Ausweiden von Fischen, angewidert, aber daran gewöhnt. Die geöffneten, starren Augen waren das Einzige, was ihr immer noch Unbehagen bereitete. Sie schienen sie zu verfolgen, nicht anklagend, nur traurig. Doch schließlich schnitt Aurel diese Augen einfach aus der Höhle.
    »Siehst du!«, erklärte er begeistert. »Genau sieben Nervenpaare sind es, die vom Hirn wegverlaufen. Sie führen zu den Augen, zu den Muskeln des Augenlids, zu der Zunge, zur
Dura mater,
des Weiteren zum Mund, zum Gesicht, zum Nacken. Die beiden Nerven der Augen kommen zuerst zusammen und trennen sich dann, um zum rechten und zum linken Auge zu führen. Wenn einer verletzt wird, übernimmt der andere die Arbeit. Zugleich stärken sie sich gegenseitig.«
    Er hielt jenes runde Gebilde ins Licht und musterte es von allen Seiten. Erstmals erschauderte Alaïs nicht, als sie die Augen betrachtete. Die Vergänglichkeit des Menschen, oft durch Frère Lazaires nörgelnde Stimme heraufbeschworen, entsetzte sie in diesem Augenblick nicht, sondern stimmte sie erleichtert. Wenn alle Menschen dereinst so blind waren wie Louise – was zählte es dann noch, was sie selbst gesehen hatte? Kein Entsetzen, kein Ekel würde dereinst überdauern.
    »Ein guter
Cyrurgicus
darf dem Offensichtlichen nicht trauen«, murmelte Aurel indes. »Er muss alles, wirklich alles

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