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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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hielten die Bewohner es doch vor Frère Lazaire geheim, dass sie Hilfe beim
Cyrurgicus
suchten.
    »Aber merkwürdige Gesellen sind es allemal!«, rief Ursanne rasch, um davon abzulenken. »Ziehen durch die Lande und …«
    »Das könnt ihr ihnen wohl kaum vorwerfen, wo ihr grade eben noch darüber geschimpft habt, dass sie sich hier niedergelassen haben.«
    Frère Lazaires Blick ruhte nachdenklich auf ihr. »Bist ein vorlautes Mädchen mit einer vorschnellen Zunge.«
    Diese Zunge hätte sie ihm am liebsten herausgestreckt, aber in diesem Augenblick fühlte sie eine Hand, die sie am Arm packte und zurückzog. Sie wollte sich schon wehren, weil sie glaubte, Josse erdreistete sich dazu. Doch es war nicht der Glupschäugige, sondern Caterina, die sich lautlos genähert hatte und sich nun vor die Tochter stellte.
    »Du solltest deinem Kind rechtes Verhalten beibringen«, murrte Frère Lazaire.
    Caterina maß ihn ausdruckslos. Alaïs konnte sich nicht vorstellen, dass die Mutter einen derartigen Befehl für gut befinden würde, und hoffte, diese möge widersprechen. Doch Caterina sagte nur knapp: »Das werde ich!«
    Im nächsten Augenblick spürte Alaïs wieder die Hand der Mutter an ihrem Arm. Zunächst folgte sie ihr unwillig und fühlte sich bloßgestellt. Doch dann war sie froh, nicht selbst entscheiden zu müssen, was zu tun war. Die Müdigkeit nahm überhand, und die Müdigkeit war es auch, die sie, knapp vor der eigenen Kate, straucheln ließ. Ein weiteres Ei plumpste zu Boden und zerbrach.
    Kopfschüttelnd starrte die Mutter darauf.
    »Was ist nur mit dir los? Bist du krank?«
    Alaïs straffte die Schultern. »Natürlich nicht!«
    Caterinas Blick wurde forschend. »Warum so störrisch?«, fragte sie barsch. »Kann mir nicht vorstellen, dass du etwas dagegen hättest, wenn der
Cyrurgicus
dich untersuchen würde.«
    Alaïs hoffte, Caterina würde weder ihre Erschöpfung erahnen noch die Sorgen, die Frère Lazaires Vermutungen in ihr gesät hatten. »Denkst du, er will sich mit Dingen wie Müdigkeit und Kopfschmerzen abgeben?«, gab sie schnippisch zurück. »Aurel … Er kann so viel mehr. Er kann die schlimmsten Wunden flicken … Eines Tages wird er Menschen helfen können, die heute noch dem Tod geweiht sind.«
    »Mhm«, machte die Mutter. Es klang wie ein Knurren. »Die Menschenhilfe scheint mir aber nicht zu ihm zu passen.«
    »Warum verachtest gerade du ihn, Mutter? Du bist nicht ausgebildet wie er, aber du hast hier jahrelang als Hebamme vielen Kindern auf die Welt geholfen.«
    Caterina zögerte kurz, antwortete dann aber ungewohnt offen. »Ich weiß ganz genau, wie man sich in einem schmerzenden Leib fühlt, der einem nicht zu gehören scheint. Das hat mich dazu getrieben, den Frauen zu helfen. Aber ich weiß nicht, ob dein Aurel jemals Leid geschmeckt hat.«
    Alaïs war sich nicht sicher, wovon die Mutter sprach. Von den eigenen Geburten, die sie durchlitten hatte? Oder von etwas anderem, was in jene Zeit zurückreichte, als sie mit Ray durch die Lande gezogen war und manches Abenteuer zu bestehen hatte?
    Viele Fragen brannten ihr auf der Zunge, aber da sie bislang noch nie eine Antwort darauf erhalten hatte, hoffte sie auch jetzt nicht darauf, sondern verkniff sie sich.
    »Er ist nicht mein Aurel«, sagte sie rasch.
    Die Mutter schnaubte. »Leg dich schlafen!«, befahl sie knapp. »Ist ja heute nichts mit dir anzufangen.«Wirre Gedanken drehten sich in ihrem Kopf, kaum lag Alaïs im Bett, und als sie endlich eingeschlafen war, erschienen ihr die Traumbilder so sinnlich und echt, als wäre sie noch wach und erlebte das alles wahrhaftig. Sie trat zum Fenster, starrte hinaus, sah in der Ferne ein Boot. Noch ehe sie sich davon überzeugt hatte, dass ihr Vater darin saß, rief sie schon nach ihm. Er hörte sie nicht, sondern fuhr hinaus aufs weite Meer. Ihre Rufe wurden immer schriller, immer verzweifelter – und irgendwann begnügte sie sich nicht mehr damit, ihn zurückzuholen. Sie stürmte mit nackten Füßen aus dem Haus, lief zum Meer, watete in die kalten Fluten. Ein wenig war es so wie damals, nach jener ersten Nacht, da Aurel Louise aufgeschnitten hatte – nur tauchte sie nun im Traum viel tiefer ins Wasser und schwamm so lange, bis ihre Füße den schlammigen Grund nicht mehr ertasteten. Das Meer war nicht grünlich blau, sondern pechschwarz. Es zerrte sie nach unten, tiefer und tiefer, kaum konnte sie den Kopf über Wasser halten. Als sie freilich versuchte, sich die Kleidung abzustreifen, um das

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