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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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recht.«
    Alaïs verdrehte ungeduldig die Augen, bereit, Beleidigungen zu ertragen, wenn der Glupschäugige nur endlich verschwände und sich nie wieder in ihr Leben mischte.
    Hoffentlich erzählt er Régine nicht, was er gesehen hat, dachte sie noch. Doch im nächsten Augenblick erkannte sie, dass seine Schwester eine harmlose Bedrohung war, verglichen mit dem, womit Josse aufzuwarten hatte.
    Er stieß einen Pfiff auf, und sofort stürmten mehrere Männer in den Schuppen. Schon hatte der eine Emeric schmerzhaft den Arm umgebogen, schon bekamen zwei andere Aurel zu fassen und zwangen ihn auf den Boden.
    Das Mondlicht fiel schroff und kalt durch die geöffnete Tür. Es färbte nicht nur Josses Gesicht bläulich weiß wie das der Leiche, sondern auch jenes von Frère Lazaire.
    Mit zitternder Hand schlug er ein Kreuz über seinem Gesicht, als er den Schuppen betrat. »Hier also verrichtet ihr eure gottlosen Taten!«, raunte er.
     
    Alaïs kannte die Männer, die den Schuppen gestürmt hatten – und doch deuchten sie sie wie Fremde. Auch Remi befand sich unter denen, die eben mit Aurel rangen – ungeachtet dessen, dass dieser sein Kind gerettet hatte. Obwohl der
Cyrurgicus
kräftig war, konnte er gegen die übermacht der Männer nichts ausrichten und musste sich trotz anfänglicher Gegenwehr auf die Knie drücken lassen.
    »Wusst ich’s doch, dass von euch nichts Gutes kommt«, erklärte Frère Lazaire, der nun, da er näher trat, nicht furchterregend wirkte, sondern eher überdrüssig. »Wusst ich’s doch … Mit welchen Werken habt ihr hier den Teufel erfreut?«
    Keiner der Eindringlinge hatte bislang Alaïs beachtet. Sie rang damit zu fliehen, die Mutter zu benachrichtigen – und sah sich doch außerstande zu gehen, ohne zu wissen, was hier geschehen würde.
    Plötzlich hob Aurel mühsam den Kopf. »Wir haben nichts Verbotenes getan«, presste er zwischen den Lippen hervor.
    Frère Lazaire umrundete Ricards Leichnam, nicht minder angewidert als zuvor Josse.
    »Ihr habt diesem unglücklichen Menschen ein Leben in der Ewigkeit genommen«, erwiderte Frère Lazaire. »Wie soll der Allmächtige dereinst seinen Leib der Auferstehung zuführen, wenn dieser Leib zerstückelt ist? Wie soll er am Tag des Jüngsten Gerichts Rechenschaft ablegen, wenn er nicht stehen, nicht sehen kann und ihm Gedärm aus dem Magen quillt? Sagt mir das! Was ihr getan habt, ist noch schlimmer als der Mord an einen irdischen Leib.«
    Aurel wand sich unter den festen Griffen, seine Stimme geriet darob angestrengt: »Dann wundert mich, dass auch Männer Eures Standes Sektionen vornehmen. Zumindest in Montpellier ist das nicht ungewöhnlich. Gewiss, meist sind es Laien, die es wagen, aber ich kenne manchen Priester, der ebenso wenig davor zurückschreckt, vorausgesetzt, er berührt am gleichen Tag die Hostie nicht. Wie oft hab ich als Student dabei zugesehen? Warum sollte es dann verwerflich sein, wenn ich es tue?«
    »Es ist nicht recht, in das Fleisch eines Menschen zu schneiden«, ereiferte sich Frère Lazaire. »Gott selbst ist es vorbehalten, den Menschen zu geißeln. Und wenn er es mit einer Krankheit tut, geschieht es, um diesen zu bestrafen. So steht es auch in der Heiligen Schrift: Nur wer vor seinem Schöpfer sündigt, wird krank und ist darum den Händen des Arztes ausgeliefert. Chirurgie ist Teufelswerk!«
    Aurel schnaubte. »Aber Gott selbst praktizierte doch so etwaswie Chirurgie, als er den Menschen aus Staub formte und als er Eva aus einer Rippe Adams erschuf. Und als der Blinde zu Jesus Christus trat und ihn um Heilung bat, hat jener eine Paste aus Staub und Speichel gerührt und sie ihm auf die Augen gerieben.«
    Wütend suchte Alaïs Josses Blick und hoffte, er würde es spüren, all ihre Verachtung, all ihren Hass. Doch er beachtete sie nicht. Als Aurel geendigt hatte, zerrte Josse ihn plötzlich hoch und schlug ihm mit der Faust in den Leib. Aurel wand sich und stöhnte.
    »Ihr maßt Euch an, zu sein wie Gottes Sohn?«, fragte Frère Lazaire. Er runzelte die Stirn – ebenso angewidert wie zuvor, als er Ricards Leichnam inspiziert hatte. »Der gleiche Hochmut hat den Teufel geritten, und der ist vom Himmel gefallen wie ein Stern.«
    Aurel suchte zu antworten, doch zunächst kam nichts anderes heraus als Würgen. Feucht troff es von den Lippen – war es nur galliger Speichel oder gar Blut?
    »Seit wann ist Hochmut nicht nur eine Sünde, sondern obendrein ein Verbrechen?«, spuckte Aurel schließlich mühsam hervor. »Was

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