Die Gefährtin des Medicus
ihnen verzweifelt zu, dass den kleinen Sohn seit geraumer Zeit ein grässliches Leiden plage. So aufgewühlt und tränenreich sprach sie, dass es schwer war, den Worten einen rechten Zusammenhang zu entnehmen, doch nachdem Aurel mehrmals nachgefragt hatte, wurden die Symptome offensichtlich: Der Knabe litt an unerträglichen Schmerzen im Bauch, hatte große Probleme beim Wasserlassen und blutete nicht selten dabei.
Alaïs sah, wie aus Aureis gelangweilten, verhaltenen Gesten plötzlich ruckartige wurden. Seine Wangen begannen trotz der kühlen Luft zu glühen. Gar nicht schnell genug konnte er der Frau folgen.
Ein Kind leidet, und er ist begeistert, ging es Alaïs missmutig durch den Kopf.
Sie überlegte, ihm aus Trotz nicht zu folgen, war aber von der erhofften Wärme in der Stube zu sehr bestochen, um das Haus zu meiden. In dieser Gegend sahen alle Häuser gleich aus: Sie waren aus dem sandfarbenen, in der Sonne rötlich glänzenden Stein gehauen, die besseren hatten ein Dachgeschoss, die ärmeren, wie dieses hier, waren ebenerdig. Scharf biss der Rauch, der aus der Feuerstelle hochstieg. An Haken hingen getrocknete Kräuter und ein Laib Schinken von der Decke – Letzterer war vor Ratten dortam besten geschützt. Der kranke Knabe wälzte sich auf einem Stück Fell, das ihm die Mutter in der Mitte der Stube ausgebreitet hatte, er hatte keine eigene Schlafstatt. Mehrere Geschwister standen herum, beglotzten entweder hilflos oder gelangweilt den leidenden Bruder und wurden nun von der Mutter ins Freie geschubst.
Aurel indes hatte sich niedergelassen und machte sich am Leib des Kindes zu schaffen. Da Alaïs bei der Tür stehen geblieben war, konnte sie nicht genau erkennen, was er tat, nur, dass der Junge trotz Unwohlseins noch wach genug war, ein angstvolles Gesicht zu machen und Schreie auszustoßen, zunächst kaum lauter als ein Wimmern, dann hoch und laut. Es war nicht gewiss, ob er vor Angst oder vor Schmerzen schrie – nur, dass es eines Menschen bedurft hätte, der ihn hielt und ihm tröstend über die Stirn strich.
Die Mutter tat es nicht, war vielmehr starr vor Erleichterung, dass dieser Fremde sich seiner Sache sicher zu sein schien. Aurel hingegen war viel zu fasziniert von der Krankheit, um das Kind zu beschwichtigen, und Emy machte sich an dem Lederbeutel zu schaffen, um Werkzeug vorzubereiten für jene Operation, die Aurel nun ankündigte.
»Es ist ein Blasenstein«, stellte er fest, »ganz ohne Zweifel. Ungewöhnlich bei einem Knaben seines Alters, aber durchaus möglich.«
»Ihr könnt ihn gesund machen?«, stammelte die Mutter.
»Das kann ich, aber es wird nicht leicht sein.«
Ausufernd wie stets erklärte er die bevorstehende Operation – nicht anderen Menschen, sondern eher sich selbst, indem er sich die notwendigen Schritte vor Augen führte. Der Zeige – und Mittelfinger müssten in den After des Kranken eingeführt werden, um den Stein zu ertasten. Sobald dieser fixiert war, müsse die dünne Haut zwischen Skrotum und After mit einem halbmondförmigen Schnitt durchtrennt werden. Danach galt es, parallel dazu einen zweiten Schnitt um den Blasenhals zu setzen, der in jedem Fall größer als der Stein zu sein habe. Entweder lasse sichder Stein sodann mit der Hand entfernen, oder aber mit einem Haken, der möglichst stumpf und platt sein müsse.
Während er sprach, klang er unglaublich stolz. Weder gewahrte er, wie sich der Schrecken in den Augen des Knaben verstärkte, noch wie die Mutter still zu heulen begann, vor Angst und Ekel gleichermaßen schaudernd.
Warum kann er nicht einfach anfangen, dachte Alaïs ärgerlich, warum muss er aller Welt erst erklären, wie gut er’s kann. Zunächst blieb sie still bei der Türe stehen.
Doch dann ging Aurel daran, den Jungen auf den Holztisch zu legen, wo ansonsten das kärgliche Mahl gegessen wurde. Darauf nicht vorbereitet, vergaß der Knabe zunächst, sich zu wehren. Kaum lag er auf der harten Tischplatte, begann er freilich nicht nur zu schreien, sondern mit Händen und Füßen um sich zu schlagen.
Aurel blieb davon unbeeindruckt, wandte sich um und ließ sich von Emy zwei Stricke reichen. Anstatt den Knaben mit Worten zu beschwichtigen, setzte er lieber darauf, der körperlich Stärkere zu sein. Als wäre es ein Tier, das man zur Schlachtbank führt, begann er, den Knaben mit Händen und Füßen an die Tischbeine zu fesseln, auf dass er sich nicht rühren konnte. Seine Bewegungen mochten nicht brutal gemeint sein, fielen aber so aus. Nun
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