Die Gefährtin des Vaganten
Wenngleich der Anschlag vor sieben Jahren durchaus Dietrichs Idee gewesen sein könnte. Das kläre ich noch mit ihm. Aber mit dem jetzigen Versuch, mich umzubringen, hat er vermutlich nichts zu tun. Dahinter scheint ein anderer zu stecken.«
»Jener Gunnar.«
»Eben der. Piet, er hat zweimal versucht, mein Leben zu lenken. Einmal mit Erfolg, indem er mir einen Platz bei den erzbischöflichen Truppen unter Upladhin verschaffte, das andere Mal, als er mich überreden wollte, Kaplan am Hof zu werden.«
»Und warum hat er das getan? Weil du so ein lieber Junge warst?«
»Weil er meine Mutter kannte.«
»Und darum hat er dich in eine Söldnertruppe gesteckt?«
»Ich habe mich nicht dagegen gewehrt. Und meine Mutter war zwei Jahre zuvor gestorben. Aber heute könnte ich mir auch ein anderes Motiv vorstellen. Welches – noch ist es mir nicht ganz klar. Völlig klar aber ist, dass Gunnar von Erpelenz seit Jahren schon Stellenschiebereien innerhalb der Pfarren vorgenommen hat. Und zwar ohne Wissen des Erzbischofs. Vor allem hat er exkommunizierte Priester die Rekonziliation erteilt und sie wieder in ihre Ämter eingesetzt.«
»Womit er seine Hand auf die Priester gelegt hat, die für das Anwerben der Huren und der Erlösungssuchenden verantwortlich sind.«
»Was wiederum erklärt, warum er in Konstanz war, denn Dietrich hatte nicht ihn als seinen Vertreter dorthin geschickt, sondern Gottfried von Hegghe, den Rektor der Universität.«
»Sieh an.«
»Er hat ganz offensichtlich seine eigenen Interessen dort vertreten. Denen ist Hanna in die Quere gekommen. Und damit auch ich.«
»Weshalb du nun Dietrich nicht mehr zum Kampf fordern musst.«
»So sehe ich es jetzt.«
»Was dich erleichtert, denn eigentlich ist Dietrich dein Freund.«
Piet sagte es sehr leise.
»Ja, er war früher mein Freund. Ob er es heute noch ist, weiß ich nicht. Aber mein Todfeind ist er nicht.«
»Dann können wir ihn von den Umtrieben in Kenntnis setzen.«
»Nicht auf einen bloßen Verdacht hin. Gunnar von Erpelenz hat es bisher geschafft, seine Machenschaften gut zu verstecken. Man wird uns nicht glauben, wenn wir nicht gute Gründe vorlegen. Aber das wird jetzt möglicherweise einfacher werden.«
»Ja, weil du dich nicht mehr quälen musst.« Piet lächelte ihn an. »Sursum corda!«
»Ja, es erhebt mein Herz. Desiderio desideravi .«
»Dachte ich mir, mein Freund, dass du mit großer Sehnsucht danach verlangt hast.«
Hagan lächelte.
»Was wird mit Jurg geschehen?«
»Der tote Jurg wird von uns betrauert und im Kirchhof von Merheim zur Ruhe gebettet, der lebende schleicht sich heute im Schutz der Dunkelheit hoch in den Wald. Frau Laures Bruder hat die Klause einigermaßen wiederhergestellt, dort wird er einige Tage Unterschlupf finden. Hannes möchte weiterziehen, und mit ihm wird er mitgehen. Stelzen und Jongelage werden ihnen ihren Unterhalt gewährleisten. Sie haben gemeinsam allerlei Kunststücke ausgearbeitet.«
»Ja, Akrobaten ziehen immer die Leute an. Und der Affe natürlich.«
»Um ihn kümmert sich Melle, bis Jurg aufbricht. Sie ist ein bemerkenswertes Mädchen, Hagan. Es war ihre Idee, diese Scharade zu inszenieren.«
»Ich habe vor, mit ihr zu reden. Es wird Zeit, dass ich mich mehr um sie kümmere.«
»Ein guter Entschluss.«
Hagan fand Melle in der Scheune, wo sie das Äffchen mit Apfelschnitzen fütterte und der dreibeinige Kater sich an ihre Beine schmiegte.
»Die Hüterin der wilden Tiere – du hast ihr Amt übernommen?«
»Der Aff mag mich und den Matti auch.«
»Also ist eher der Affe der Hüter der wilden Tiere?«
Ein kleines Grinsen huschte über ihr Gesicht.
»Ihr haltet mich für ein wildes Tier, Herr Vater?«
»Nein, für ein kluges Kind. Komm, wir wollen einen Spaziergang in den Wald machen.«
»Warum?«
»Weil ich mit dir reden möchte.«
»Nicht über einen Konvent!«
»Nein, über deine Mutter.«
»Oh.«
Sie gab dem Affen den Rest des Apfels, streichelte Matti noch einmal und stand auf, um sich ihm anzuschließen.
Als sie durch das Tor traten, kam ihnen Jan mit dem Pfarrer entgegen. Hagan gab dem Jungen kurz Bescheid, dass er am Nachmittag zurückkäme, dann schlug er den Weg zum Wald ein.
Noch immer schien die warme Sonne, aber die Blätter begannen bunt zu werden. Trockenes Laub raschelte unter ihren Füßen, als sie den leichten Anstieg erklommen. Melle schwieg, und er suchte nach Worten. Schließlich sagte er: »Meine Mutter starb, als ich fünfzehn war. Sie war eine
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