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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Stiftsdame in Villich, die jüngste Tochter einer Patrizier­familie. Ich habe sie sehr geliebt, und nach ihrem Tod war ich einige Zeit sehr … aufsässig.«
    Melle stieß einen Tannenzapfen mit dem Fuß an. Er sprang über den Weg ins Gebüsch.
    »Ich besuchte damals die Domschule in Köln, und eigentlich sollte ich, nachdem ich meinen Magister gemacht hatte, Theologie studieren.«
    »Mochtet Ihr nicht.«
    »Nein, mochte ich nicht. Ich war rebellisch, streitsüchtig, widerborstig, weil ich das Gefühl hatte, dass man mir meine Mutter fortgenommen hatte. Nur – das war mir damals nicht klar. Es war meine Art von Trauer.«
    »Mhm.«
    »Weshalb ich gegen alles und jeden aufbegehrte. Insbesondere gegen die Art, ein ruhiges, gelehrtes Leben zu führen. Als man mir den Vorschlag machte, in einer ziemlich rauen Söldnertruppe gegen die Strauchdiebe vorzugehen, die die Handelsstraßen unsicher machten, habe ich nur zu gerne eingewilligt.«
    »Nicht eben ein Konvent.«
    »Nein, ganz gewiss nicht. Es war hart, ich bekam meine Portion blauer Flecken, gebrochener Knochen und blutiger Beulen ab, bis ich das Kämpfen gelernt hatte. Aber die körper­lichen Schmerzen und die Entbehrungen dieser Art des Lebens lenkten mich von meinem inneren Schmerz ab.«
    »Warum starb Eure Mutter?«
    »Eine schleichende Krankheit nahm sie mir. Zwei Jahre sah ich sie dahinsiechen.«
    »Mhm.«
    »Drei Jahre bekämpfte ich danach unter Hauptmann Upladhin die Räuber, dann trat man an mich heran und verlangte, dass ich mich zum Priester weihen lassen sollte.«
    »Huch? Aber Ihr wart doch ein Söldner!«
    »Es gibt keine Regel, welchen Beruf ein Priester haben soll. Ich hätte ein sehr bequemes Amt am Hof des dama­ligen Erzbischofs annehmen können. Man glaubte, ich hätte mich genug ausgetobt.«
    »Aber das wolltet Ihr nicht?«
    »Nein. Ich war zwar nicht mehr so verbittert und aufsässig, aber das Abenteuer lockte mich noch immer. Zur gleichen Zeit bat mich der junge Ritter Sibert von Schlebusch, mich um seine Rösser zu kümmern. Als sein Marschall begleitete ich ihn auf die Turniere. Es sagte mir sehr zu.«
    »Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich habe auch mal ein Turnier gesehen. Ach, all die bunten Gewänder und die Wimpel und die Federbüsche und blitzenden Rüstungen …«
    »Ja, alles das. Es gefiel uns jungen Männern. Und es gefiel uns auch, wie die jungen Frauen und Maiden uns ansahen. Melle, ich war für die Pferde verantwortlich, und als wir in Darmstadt an dem Turnier teilnahmen, das der Herr von Katzenellenbogen ausgerichtet hatte, suchte ich den Hufschmied auf, um eines der Rösser meines Ritters beschlagen zu lassen. Seine Tochter hatte ihn zum Turnierplatz begleitet, sie schenkte uns Most aus, und wir unterhielten uns über die Ritter und ihre Fähigkeiten und mög­lichen Siege. Sie war von dem bunten Treiben ebenso fasziniert wie wir alle.«
    »Meine Mutter.«
    »Hanna, ja. Sie war eine schöne, lebenslustige Maid. Und ihr Vater hatte viel zu viel zu tun, um ständig ein achtsames Auge auf sie zu haben.«
    »Ihr habt sie verführt.«
    »Wir haben uns gegenseitig verführt, Melle. Du bist nicht gegen ihren Willen gezeugt worden.«
    Wieder trat Melle einen Tannenzapfen ins Gebüsch.
    »Sie hat nie von Euch gesprochen.«
    »Wenn man jung ist, sind manche Leidenschaften flüchtig. Wir hatten drei vergnüg­liche Wochen, dann war das Turnier vorüber. Ich hätte Hanna vielleicht überredet, mich zu begleiten. Wer weiß, mög­licherweise hätte sie es getan. An Siberts Hof wäre sie sicher willkommen gewesen. Aber ich bekam eine sehr strenge Order, mich nach Speyer zu begeben. Ich musste für ein Jahr dort die Stelle eines Domherrn einnehmen, um mein Anrecht auf die Pfründe zu erwirken.«
    Sie hatten den Lauf eines kleinen Baches erreicht, und auf einem umgestürzten Baumstamm nahm Hagan Platz. Melle setzte sich neben ihn und zupfte nachdenklich Blätter von einem Ast.
    »Als Domherr. Die Domjrafen sind reiche Männer«, sag­te sie dann leise.
    »Ja, die Pfründe sind auskömmlich.«
    »Wer hat sie Euch vermacht?«
    »Mein Vater. Er wollte, dass ich ein gesichertes Leben habe.«
    »Wer ist Euer Vater?«
    »Mein Vater ist tot.«
    »Aber er muss ein mächtiger Mann gewesen sein.«
    »Er hatte Einfluss, ja. Und er kümmerte sich um mich. Aber ich lehnte diese Art des Kümmerns ab, ich wollte mein eigenes Leben leben.« Hagan nahm ihre Hand. Ein wenig schmutzig, rau von der täg­lichen Arbeit, die Fingernägel abgebrochen und

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