Die Gefährtin des Vaganten
habe die Erfahrung gemacht, dass selbst Raubtiere dem Menschen nicht so feindlich gesinnt sind wie die Christen gegeneinander.
Julian, römischer Kaiser
Hagan hatte Martine aus dem Zimmer geschickt und sich an Hemmas Bett gesetzt. Die alte Frau war wach und blinzelte, wie um eine klare Sicht auf ihn zu bekommen.
»Hagan«, flüsterte sie. »Bischof.«
»Immer noch, ja.«
»Ich muss beichten.«
»So sprecht, Frau Hemma. Befreit Euer Herz von dem, was es belastet. Ihr habt ein Gott wohlgefälliges Leben geführt, und ich bin sicher, der Herr wird Euch Eure Sünden vergeben.«
»Nicht immer wohlgefällig. Schwester gehasst.«
Es war eine mühselige Beichte, denn Hemma kämpfte mit den Worten, teils, weil der Schlag ihre Lippen gelähmt und ihr manche Wörter geraubt hatte, teils aus Scham.
Aber bis zum Nachmittag schließlich hatte Hagan die gesamte Geschichte erfahren.
Er erteilte ihr die Absolution, und weil sie darum bat, auch die Letzte Ölung.
Und dann warf er alle Grundsätze über Bord, suchte einen von Upladhins Kämpen auf und schickte ihn mit einer dringenden Botschaft zu dem Hauptmann. Zutiefst bedauerte er, dass Piet noch nicht zurückgekommen war. Aber da daran derzeit nichts zu ändern war, fragte er eine Magd, wo Laure sich aufhielt. Er fand sie in der Wäschekammer, wo sie Laken durchzählte und solche mit ausgefransten Säumen und Rissen zum Stopfen für Martine aussonderte. Der Anblick der leise vor sich hinsummenden, geschäftigen Frau wärmte sein Herz. Sie führte ihr Haus mit so viel Umsicht. Und doch musste er ihren mühsam errungenen Frieden wieder stören.
»Laure«, sagte er leise. Sie wandte sich um und lächelte ihn an. Doch sofort wurde sie wieder ernst. Seine Miene musste ihn verraten haben.
»Was habt Ihr erfahren?«
»Eine scheußliche Sache.«
»Das habe ich befürchtet.«
»Brigitte ist ein Ungeheuer.«
»Das wissen wir doch. Aber offensichtlich in noch größerem Maße, als wir bisher annahmen.«
»So sieht es aus. Hemma ist, genau wie du vermutet hast, nicht aus freien Stücken aus dem Adelheidis-Stift ausgeschieden. Sie ist mehr oder weniger dazu gezwungen worden.«
»Durch ihre Schwester?«
»Weit schlimmer. Gunnar von Erpelenz weilte damals hin und wieder als Begleiter des Erzbischofs dort und hat zu dieser Zeit die beiden Frauen kennengelernt. Hemma war offensichtlich beliebt bei den Damen, und sie war auch als Ratgeberin für einige hohe Herren gefragt, denn sie war klug und belesen und ihr Urteil in vielen Fragen ruhig und verständig. Brigitte war nicht beliebt, sie galt als hinterhältig und geltungssüchtig. Sie neidete Hemma die Achtung, die andere ihr entgegenbrachten. Das hat Hemma zwar nicht so erzählt, aber Bela hat es mir in dieser Form schon angedeutet. Was sie aber mir jetzt anvertraute, ergibt ein schlüssiges Bild. Brigitte, neidisch und eifersüchtig, plante, ihre Schwester in Verruf zu bringen. Es scheint, dass Gunnar, damals ein junger Mann noch, schon Brigittes zweifelhaften Reizen erlag und ihr gerne dabei zu Hilfe kam. Er folgte Hemma eines Tages in die Kapelle des Stifts, wo sie oft ihre stille Andacht hielt, und vergewaltigte sie.«
»Oh, Gott.«
»Brigitte sorgte dafür, dass es bekannt wurde und so aussah, als hätte sie ihn dort hingelockt und verführt. Hemma musste das Stift in Scham und Schande verlassen, ihre Schwester triumphierte.«
»So etwas vergibt man nicht.«
»Nein, so etwas ist kaum zu vergeben oder zu verzeihen. Hemma fand Obdach bei Bela in Efferen, aber sie wollte ihre Schwester nie wieder sehen. Alles das ist verständlich und belastet auch Hemmas Gewissen nicht. Was sie belastet, ist, dass sie damals, als sie das Stift verlassen hat, Brigitte etwas gestohlen hat, von dem sie wusste, dass es für sie von großer Bedeutung war.«
»Dieses Buch, dessentwillen man sie in den vergangenen Monaten gehetzt hat?«
»Eben dieses Buch.«
»Was ist damit?«
»Es ist ein wenig verwickelt, und ihre Sprache verließ sie vorhin einige Male. Aber soweit ich verstanden habe, gehörte dieses Buch ihrem Vater, David von Hürth. Der wiederum hat es von seiner Mutter erhalten. Die, Hemmas und Brigittes Großmutter, konnte zwar nicht lesen, kannte aber die Geschichte, die in diesen Aufzeichnungen niedergelegt war, und hat sie, als sie im Sterben lag, Hemma anvertraut. Hemma war damals so alt wie Melle heute und zutiefst fasziniert von der Mär. Sie handelte von drei edlen Rittern, die mit König Ludwig von Frankreich nach Al
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