Die Gefährtin des Vaganten
heißem Blut kann man nicht auf die Jagd gehen.«
»Und Rache genießt man kalt am besten, ich weiß.«
»Wirst du mir helfen?«
»Deinen Kadaver hinterher zu bergen?«
»Dem wird’s egal sein. Nein, ich brauche Hilfe bei den Vorbereitungen. Ich muss herausfinden, wann die beste Zeit, wo der beste Ort ist.«
» Dies irae! «
»Eben der.«
»Aber am Tag des Zornes musst du einen Keiler fangen.«
»Auch, aber das soll meine Sorge sein.«
»Und das Kind? Was, wenn du draufgehst?«
»Ich werde sie in einen Stift oder einen Konvent einkaufen.«
»Das wird ihr gefallen?«
»Das interessiert mich nicht sonderlich.«
»Bewahre dir dein kühles Herz, Magister.«
Hagan nickte und stieß mit dem Fuß einen Kiesel in den Fluss. So kalt war sein Herz nicht. Eher war es schwer wie ein Klumpen Blei. Aber er hatte seit Konstanz viel und lange nachgedacht, und es galt, die Dinge zu beenden, die vor Jahren schon begonnen hatten und ihn aufs Neue verfolgten. Er konnte nicht auf immer ein toter Bischof bleiben, er brauchte wieder ein Leben.
Welches, das würde sich dann zeigen.
Ihr Vater.
Oh heilige Sankt Ursula, ihr Vater.
Melle wusste nicht, ob sie lachen oder vor Wut schreien sollte.
Ihr Vater, der mit genau der Gruppe Vaganten umherzog, die sie tags zuvor so belustigt hatte. Vor allem der kleine Affe hatte es ihr angetan. Und der Jonglierer, der Jurg, der war auch nett. Er hatte den Affen bei ihr gelassen, als der sich auf ihre Schulter gesetzt und an ihren Zöpfen gezupft hatte.
Geld hatte ihre Mutter hinterlegt, ja, das wusste sie.
Und nun war sie tot.
Melle versuchte wieder wütend zu werden, aber das gelang ihr nicht. Sie konnte ihrer Mutter nicht mehr zürnen. Der Magister hatte nicht gesagt, woran sie gestorben war. Aber das wollte sie auch gar nicht wissen. Sie hatte ihn in Konstanz getroffen – na schön. Und ihm von ihr erzählt. Na gut.
Und nun?
Kümmern wollte er sich nicht, nur das Geld vom Juden holen.
Die Muhm würde es für sich behalten. Und sie selbst würde weiter am Webstuhl sitzen. So wie heute und alle Tage. Kettfäden aufspannen, Fäden auf das Schiffchen wickeln, hin- und her-, hin- und herbewegen.
Die Vaganten hatten es gut: Die konnten von einem Ort zum anderen ziehen. Späße machen, auf dem Feld ihr Lager aufschlagen, ihre Tricks einüben, wenn sie genug von einem Ort hatten, weiterziehen.
Und ihr Vater war dabei. Wackelte mit seiner Feder und schrieb anderen Leuten Briefe oder so. Das hatte Jurg ihr erzählt. Die Zwergenfrau war lustig, die hatte wüste Sprüche drauf. Und die Frettchen der Rattenfängerin waren niedlich. Aber nicht so wie Matti.
Ob der kleine Kater wohl mitkommen würde?
Er stromerte zwar im Haus und auf dem Hof herum, aber er kam immer wieder zu ihr zurück. Gerade jetzt lag er auf ihrem rechten Fuß und schnurrte.
Melle straffte sich. Sollte sie mitgehen? Die Muhm würde es nicht stören. Jetzt, wo ihre Mutter nicht mehr zurückkommen und ihr Vorwürfe machen würde. Sie hatte mit ihren vier Kindern genug zu tun. Ihr Mann – pfff. Der hätte schon gerne, dass sie blieb. Der tatschte sie in der letzten Zeit immer häufiger an.
Jonglieren konnte sie sicher auch lernen. Und Späße machen. Oder Rad schlagen. Ihren Vater brauchte sie nicht.
Sie brauchte niemanden.
Nur Matti.
Und einen Korb für ihn.
Melle hatte ein Bündel gepackt und wartete am nächsten Tag schon an der Tür auf den Magister. In einem weiteren großen Tuch, das sie sich um die Schultern geschlungen hatte, hielt sich der kleine Kater verborgen. Er war es gewöhnt, so herumgeschleppt zu werden. In den ersten Wochen, als er noch schwach und krank war, hatte sie ihn immer so bei sich an ihrem Körper getragen. Die Muhm hatte nur genickt, als sie ihr ihren Entschluss mitgeteilt hatte.
»Geh, Melle. Du bist genau wie deine Mutter. Hast ja gesehen, was aus ihr wurde.«
Der Magister Hagan sah sie verdutzt an, und Melle beeilte sich zu sagen: »Ihr braucht gar nicht erst zur Muhm hineinzugehen. Ich habe ihr gesagt, dass ich mich Euch anschließe.«
»Deine Tante wird ein Wörtchen dabei mitzureden haben.«
»Ich bin ihr lästig, Magister Vater. Und das Vagantenleben scheint mir erfreulicher als spinnen und weben und die Windeln der kleinen Hosenscheißer zu waschen.«
»Wenn du dich da nur nicht täuschst.«
»Sucht Ihr wieder Ausflüchte?«
»Nein. So komm denn mit. Aber mit deiner Tante werde ich dennoch sprechen.«
»Tut, was Ihr müsst.«
Es war ein kurzes Gespräch,
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