Die Gefährtin des Vaganten
übernahm seine Stelle.«
»Einfach so?«
»Sie hatten nichts dagegen. Der Löffelschnitzer, Klingsohr, Inocenta – sie waren schon dabei.«
»Auch sie sind nicht ohne Witz.«
»Nein, sind sie nicht, und nach einer Weile begann mir das freie Leben zu behagen.«
Hagan musterte Piet im Schein der sinkenden Sonne. Sein Gesicht war wettergegerbt, seine hellen Augen von Fältchen umgeben, seine dunklen Haare noch ohne Grau, sein Arm sehnig, der Körper straff, seine Haltung aufrecht. Er hätte als Ritter gelten können, wäre das Schicksal anders für ihn verlaufen.
»Wie alt bist du?«
»Fünfundvierzig. Ein gutes Dutzend Jahre älter als du.«
»Woher …«
»Gott, Hagan, ich kann rechnen. Vor dem dreißigsten Lebensjahr wird man nicht zum Bischof geweiht. Und du warst es schon seit einem Jahr, als wir uns vergangenes Jahr trafen.«
»Ja, ich bin zweiunddreißig. Und damit zwar geeignet, ein geistlicher Herr zu sein, nicht aber einer Zwölfjährigen ein Vater.«
»Immerhin warst du damals geeignet, sie zu zeugen. Wenn du ihr schon nicht anvertrauen willst, wer du bist, dann sag es mir. Ich werde es ebenso hüten, wie du das Wissen um meine Herkunft hütest.«
»Ja, Piet, ich werde es hüten. Doch die meine ist um ein paar Winkelzüge schwieriger. Gib mir noch etwas Zeit, dann will ich dir vertrauen. Ich tue es, bevor ich auf die Jagd auf den Erzbischof Dietrich gehe. Versprochen!«
»Nun gut, vermutlich hast du schwerwiegende Gründe.«
»Habe ich, mein Freund.«
Sie gingen zum Lagerfeuer zurück und sprachen nicht weiter darüber.
Melle durfte Piet dann am Morgen doch auf dem letzten Rundgang begleiten. Sie wanderten einen schmalen Pfad bergauf. Die Sonne vertrieb den leichten Nebel, und es duftete nach Pilzen. Melle stapfte neben dem Anführer der Vaganten her, wurde aber, je tiefer sie in den Wald eindrangen, ein wenig ängstlich. Sie war in der Stadt aufgewachsen, und der Hinweis auf die Wolfsspuren, die Piet gesehen haben wollte, gefiel ihr nicht. Doch sie verlor kein Wort darüber, um nicht zurückgeschickt zu werden. Allerdings fuhr sie erschrocken zusammen, als sie links von sich eine schattenhafte Bewegung wahrnahm, und zupfte ihren Begleiter am Ärmel.
»Schiss, Melle?«
»Ähm. Nein. Aber da …«
Piet schüttelte sie ab und nickte.
»Da ist jemand.«
»Hast du dein Messer dabei?«
»Immer, Melle. Aber wir werden es nicht brauchen. Es sei denn, du hast Angst vor einem buckeligen Weib.«
»Könnt eine Unholdin sein.«
»Gibt es die hier?«
Er machte sich über sie lustig. Melle hielt verschnupft den Mund. Und war beschämt, als die alte, gebückte Frau unter den Bäumen hervortrat. Sie trug einen Korb, der mit glänzend braunen Maronen gefüllt war, und Piet grüßte sie freundlich.
»Ja, die gibt’s reichlich hier«, sagte die Alte und zeigte einen beinahe zahnlosen Mund. »Ist eine gute Gegend. Die Nüsse werden auch reif.
»Ihr kennt Euch aus hier?«
Sie lachte keckernd.
»Ja, ja, seit Jahren schon.«
Melle trat jetzt auch vor.
»Gibt es hier Wölfe?«
»Ja, Kind, gibt einen. Aber der gehört der Hemma und ist zahm. Die hatte auch einen Bären. Aber den hat man umgebracht. Eine Schande das.«
»Wer ist Hemma?«
»Die Klausnerin dort oben. Ein wahrer Friedensengel, sagt man.«
Sie wies in die Richtung, und Piet dankte ihr für die Auskunft.
»Gehen wir die fromme Frau besuchen, Melle.«
»Ja, gut.«
Das war vermutlich nicht gefährlich. Und außerdem war ihre Neugier wieder geweckt. Eine Einsiedlerin, die mit Wölfen und Bären zusammenlebte, das musste so was Ähnliches wie der heilige Hieronymus sein.
Je weiter sie bergan stiegen, desto aufmerksamer wurde Piet. Einmal blieb er stehen.
»Riecht nach Rauch und Feuer«, murmelte er.
Melle schnupperte.
»Ja, aber nicht wie ein Backes oder so.«
»Nein, nach Vernichtung.«
Er ging weiter, und als sich die von Gebüsch umgebene Lichtung auftat, stockte Melle der Atem. Hier hatte ein Haus gestanden. Schwarz verkohlte Balken waren übrig geblieben, feine Asche bedeckte das Gras. Aber am schrecklichsten war die Stille. Kein Vogel sang hier, kein kleines Getier raschelte durch das Geäst.
»Bleib dicht bei mir, Melle, das gefällt mir gar nicht.«
»Nein, mir auch nicht. Das hat jemand mit Absicht getan, nicht wahr?«
»Vielleicht ist ihr auch ein Licht umgefallen. Schauen wir mal nach Spuren.«
Piet ging auf die Ruine zu und stocherte mit einem Ast darin herum. Reste von einer Tonschüssel, ein Fetzen Stoff,
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