Die Gefährtin des Vaganten
gewähren.
»Kurzum, Magister, ich bin in unserem hillijen Köln aufgewachsen und kenne das eine oder andere Hürchen aus der Zeit von damals. Sofern sie noch am Leben sind. Ich wollte mich bei ihnen umhören.«
»Bring dich nicht in Gefahr.«
»Werd’ aufpassen.« Sie hielt plötzlich einen nadelspitzen Dolch in der Hand. »Mein Freund begleitet mich.«
»Hilft nicht, wenn es mehrere sind.«
»Nein, dann geh’ ich drauf. Aber ein oder zwei, die merken schon, dass ich weiß, wie man Wild ausnimmt. Und nun sag mir, was du vorhast.«
»Einen alten Bekannten aufsuchen, den Vater eines früheren Freundes. Ritter Richmont von Schlebusch.«
»Wegen deiner Tochter?«
»Nein, da wird er mir wenig helfen können. Ich muss mehr über Erzbischof Dietrich in Erfahrung bringen, und Schlebusch kennt einige Leute aus seiner Umgebung.«
»Gut. Aber lass das mit dem Konvent für Melle. Sie ist dafür nicht geschaffen.«
»Sie braucht Sicherheit, Inocenta.«
»Besser, Magister, wäre es, wenn du dir um deine Zukunft Gedanken machen würdest. Eine Zukunft, in der du selbst ihr diese Sicherheit geben kannst.«
»Habe ich nicht.«
»Hast du doch. Bei einem Zweikampf gibt es auch immer einen Sieger.« Plötzlich blieb sie mitten auf dem Weg stehen und hielt ihn am Ärmel fest. Sie sah zu ihm auf. »Oder willst du sterben?«
Sie hatte dunkle Augen, die Zwergin. Dunkle, umschattete Augen, die ihn bezwingend ansahen. Ein Schauder durchfuhr ihn.
Wollte er sterben? Weigerte sich sein Verstand deshalb, sich ein Leben nach dem Kampf mit Dietrich auszumalen? Hatte er dort in Konstanz tatsächlich sein Leben aufgegeben?
Er räusperte sich.
»Nein. Eigentlich nicht.«
»Dann denk mal weiter als nur bis zu deinem Tod.«
»Ja. Aber …«
»Halt den Mund, und denk. Das kannst du doch, Bischof.«
Er tat beides. Doch über die Zukunft konnte er erst befinden, wenn er die Mosaiksteine seiner Vergangenheit an die richtigen Stellen gerückt hatte. Ihm ging mit einem Mal auf, dass er seit seinem Sprung in den Rhein eigentlich nichts anderes getan hatte. Und heute würde er einem weiteren Teil seines früheren Lebens entgegentreten. Einem schmerzlichen.
Sibert von Schlebusch, der Sohn des Mannes, den er heute aufsuchen wollte, war ihm ein guter Freund gewesen. Sein einziger wirklicher Freund. Als er die Domschule besucht hatte, war er ein Einzelgänger gewesen, ein Bastard, der so wenig wie möglich über seine Eltern sprechen durfte, um die Stiftsdame, die seine Mutter war, nicht ins Gerede zu bringen. Er liebte sie, sie war eine sanfte, verständnisvolle Frau, die ihm große Zuneigung und sogar Zärtlichkeit entgegengebracht hatte, allen Umständen zum Trotz. Dann starb sie, als er siebzehn war, und die Welt verdüsterte sich für ihn. Eigentlich hätte er Theologie studieren sollen, aber er war rebellisch und aufsässig geworden, und darum hatte Gunnar von Erpelenz, damals schon ein einflussreicher Vertrauter des Erzbischofs, ihm einen Platz bei den erzbischöflichen Truppen verschafft. Unter Hauptmann Jakob von Upladhin hatte er das Kämpfen gelernt. Dessen Aufgabe war es, vor allem Nester von Wegelagerern auszuheben. Es war ein hartes, gefährliches Leben, aber für einen jungen, abenteuerlustigen Mann genau das Richtige. Vier Jahre später aber drängte der nämliche Berater Gunnar ihn, er solle Hauskaplan bei dem damaligen Erzbischof Friedrich von Saarwerden werden. Noch immer war er nicht bereit, ein geistliches Amt anzunehmen. Der Priesterweihe entzog er sich dadurch, dass er sich an Sibert von Schlebusch wandte, den er während der Zeit unter Upladhin kennen- und schätzen gelernt hatte. Sibert war eben belehnt worden und bot ihm prompt eine Stelle als sein Marschall an. Das war eine Position gewesen, die ihm nicht nur Einfluss, sondern auch eine ehrenwerte, herausfordernde Beschäftigung bot, denn Sibert ging gerne und erfolgreich auf Turniere. Er hatte ihn begleitet, sich um seine Rösser gekümmert, mit ihm gefeiert und getrunken, tiefsinnige Gespräche geführt und die höfische Welt kennengelernt.
Als Sibert fiel, war Hagans Welt ein zweites Mal erschüttert worden.
Sie waren an der Fähre angekommen und ließen sich über den Rhein tragen. Inocenta war noch immer ruhig. Sie war eine Frau, die zu schweigen verstand, und er war ihr dankbar dafür.
Nur hatte er inzwischen Zweifel, ob sein Besuch bei Richmont von Schlebusch überhaupt noch sinnvoll war. Würde er nicht auch bei ihm alte Wunden wieder
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