Die gefangene Braut
versuche heute abend früh nach Hause zu kommen, und dann reden wir weiter.«
Sobald John gegangen war, ging Christina in ihr Schlafzimmer, um zu entscheiden, was sie noch für die Heimreise besorgen mußte. Sie ging ihre Garderobe durch. Ihre gesamten Kleider würden in ihre beiden Truhen passen, aber sie würde noch eine zusätzliche Truhe für die Kinderkleidung kaufen müssen, die sie zu nähen gedachte. Und dann ging ihr plötzlich auf, daß alle ihre anliegenden Kleider in wenigen Wochen unbrauchbar sein würden.
Christina lachte über sich selbst, weil es ihr gelungen war, etwas derart Wichtiges zu vergessen. Jetzt würde sie meterweise Stoff kaufen müssen, um nicht nur für das Baby, sondern auch für sich selbst neue Kleider zu nähen, und sie würde zwei weitere Truhen erwerben müssen.
»Auf dieser Reise wirst du dich wahrhaft nicht langweilen, Christina«, sagte sie laut zu sich selbst.
24
Christina stand an Deck und wartete darauf, daß England in Sicht kam. Die Reise war im Handumdrehen vorübergegangen. Lange hatte sie keine so üppige Landschaft mehr gesehen, und auf der Fahrt mit der Kutsche genoß sie das grüne ländliche England. Dicky Johnson kam aus dem Haus, als die Kutsche am späten Abend vorfuhr. Er konnte kaum glauben, daß sie es war.
»Sind Sie das, Miß Crissy? Sind Sie das wirklich?« fragte er mit ungläubigen Augen.
»Ja, Dicky, ich bin es – endlich wieder zu Hause.«
Lachend fiel sie dem kleinen Mann um den Hals.
»Es ist so schön, Sie wieder hier zu haben, Miß Crissy. Und Master John – ist er auch nach Hause gekommen?«
»Nein, und er kommt auch erst in ein paar Monaten. Ich wollte eher heimkommen – damit mein Baby hier geboren wird.«
»Ein Baby! Deshalb haben Sie sich durch den Umhang so angefühlt, als hätten Sie zugenommen.«
»Wer ist da, Dicky?« rief Johnsy aus dem Haus.
»Es ist Miß Christina. Sie ist eher als erwartet zurückgekommen. Und zwar ganz allein, wenn ich das hinzufügen darf«, sagte er mißbilligend.
»Mein Kleines!« rief Johnsy. Sie lief die Stufen hinunter und zog Christina in ihre Arme. Dann trat sie einen Schritt zurück, und in ihren Augen stand großes Staunen. »Mein Kleines wird selbst etwas Kleines bekommen. O mein Gott, wie habe ich auf diesen Tag gewartet. Aber warum hast du mir nicht geschrieben?«
»Und du meinst, du hättest meinen Brief lesen können?« neckte Christina die ältere Frau.
»Nein, aber ich hätte jemanden gefunden, der ihn mir vorgelesen hätte. Und jetzt komm rein, mein Liebling. Du mußt mir einiges erklären, und das kannst du bei einer Tasse Tee tun«, sagte Johnsy. Dann sah sie über ihre Schulter Dicky an. »Du bringst Miß Christinas Gepäck rein und gibst dem Kutscher etwas zu essen, ehe er weiterfährt.«
Die übrigen Hausangestellten begrüßten Christina erfreut.
»Über ein Jahr habe ich nichts von dir gehört«, klagte Johnsy, als sie endlich mit Christina allein war.
»Es tut mir leid, daß ich nicht geschrieben habe, Johnsy, aber du wirst es verstehen, wenn ich dir erst alles erklärt habe.«
»Ich will doch hoffen, daß du guten Grund hattest, mir solche Sorgen zu machen«, sagte Johnsy mürrisch.
Als Christina ihren Umhang und ihren Hut abgelegt hatte, richteten sich Johnsys große braune Augen direkt auf Christinas Bauch.
»Welcher Teufel hat Master John geritten, dich in diesem Zustand allein die Reise unternehmen zu lassen?« sagte sie fassungslos. »Und wo steckt dein neugebackener Mann? Erzähl mir bloß nicht, daß er auch in diesem heidnischen Land bleiben mußte?«
Christina lehnte sich seufzend auf dem Sofa zurück. »John hat eingesehen, daß ich das Kind hier bekommen möchte. Wir hätten andernfalls in Ägypten bleiben müssen, bis es groß genug ist, um die Reise zu unternehmen. Und was meinen Mann betrifft – ich habe keinen. Ich war nie … «
»Ach, mein armes Kleines! Dein Kind ist noch nicht auf die Welt gekommen, und schon bist du verwitwet!«
»Nein, Johnsy, du hast mich nicht ausreden lassen. Ich habe keinen Mann, weil ich nie verheiratet war.«
»Nicht verheiratet? Ach, du meine Güte!« Johnsy brach in Tränen aus. »O mein Kleines! Ein uneheliches Kind bekommst du – oh, wie mußt du leiden, mein Kind! Wie konnte Master John das nur zulassen!« klagte sie. »Oh -der Lump, der dir das angetan hat – sollen ihn tausend Teufel … «
»Nein!« schrie Christina. »Sag niemals ein Wort gegen ihn – nie! Ich liebe den Vater meines Kindes, und ich werde
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