Die Gegenpäpstin
Moment setzte er sich auf Einarts Schreibtisch, ungeachtet der Unterlagen,
die dort lagen, und der Proteste seines rotwangigen Bruders.
»Nein, unmittelbar nach ihrem Verschwinden wurde uns mit einem Fahrradkurier ein Bekennerschreiben zugestellt. Wenn wir uns
zurückziehen und auf die Kundgebung verzichten, ohne die Polizei einzuschalten, werden wir Sarah lebend wiedersehen. Andernfalls
ist sie tot, noch bevor die erste Rednerin das Podium betreten hat.«
»Gibt es einen Absender?«
»Nein, nichts, das Schreiben ist anonym. Allerdings wird darin genau beschrieben, was sie zuletzt anhatte. Sie muß sich nochmals
umgezogen haben, denn die Sachen, ein rotes Shirt und ein schwarzer Rock, fehlen in ihrem Koffer. Und ihr Rucksack ist ebenfalls
hiergeblieben. Ich verstehe das alles nicht und mache mir große Sorgen.«
»Worauf warten Sie noch?« rief Padrig, während er sich aufgebracht von Einarts Schreibtisch erhob. »Sagen Sie die Kundgebung
unverzüglich ab! Nichts ist so wichtig, daß man ein Menschenleben dafür opfern sollte.«
»Wir können die Kundgebung nicht absagen, ohne den Verdacht zu erregen, daß da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Über
hunderttausend Frauen und auch Männer haben sich aus allen Teilen der Welt auf den Weg nach Rom aufgemacht, weil sie sich
von unserem Protest eine grundlegende Veränderung zugunsten der Frauen in der katholischen Kirche erhoffen. Welche Erklärung |340| soll ich denen liefern, wenn ich verlange, daß wir unser Vorhaben ohne Angabe von Gründen absagen?«
Padrig atmete tief durch. Konnte es sein, daß Kardinal Lucera doch seine Finger im Spiel hatte?
»Hallo? Padrig? Haben Sie was mit der Sache zu tun? Wenn ja, dann gibt es vielleicht etwas, das sie interessieren wird. Sarah
ist schwanger. Fünfte Woche, und es ist ganz bestimmt
Ihr
Kind!«
»Mein Kind?« Padrig wagte kaum zu atmen. »Warum hat Sarah mir nichts davon gesagt?«
Regine verlor jegliche Contenance. »Erstens weiß sie es selbst erst seit kurzem. Und zweitens waren Sie es, der Sarah im Stich
gelassen hat, und nicht umgekehrt. Es ist immer das gleiche mit euch Priestern. Erst habt ihr eure Triebe nicht im Griff,
und hinterher sollen die ach so sündhaften Frauen die alleinige Verantwortung für die Folgen übernehmen.«
»Wenn es mein Kind ist, werde ich selbstverständlich die Verantwortung dafür übernehmen«, erwiderte Padrig leidenschaftlich,
und dabei blickte er direkt in Bruder Einarts große, ungläubige Augen. »Aber zunächst einmal müssen wir herausfinden, wo Sarah
sich aufhält!«
Regine seufzte erschöpft. »Ich hatte gehofft, Sie und der Vatikan würden hinter dieser Inszenierung stecken. Wenn dem wirklich
nicht so ist, beruhigt mich das nicht gerade.«
»Das Taxi wartet, Padrig«, rief jemand vom Hauseingang herauf.
Padrig mußte nicht lange überlegen. »Gib ihm zehn Euro und schick ihn wieder weg!« rief er durch die offene Bürotür.
»Ohne dich?« Einart starrte ihn verständnislos an. »Der Flug nach Kolumbien kostet ein Heidengeld. Soweit ich weiß, kannst
du den nicht einfach umbuchen.«
»Silentium, Einart!« entfuhr es Padrig in hartem Ton, und im nächsten Moment konzentrierte er sich wieder auf seine Gesprächspartnerin.
»Regine? Sind Sie noch dran? Ich werde mich |341| um alles kümmern. Sollten meine Vorgesetzten etwas damit zu tun haben, werde ich es herausfinden. Geben Sie mir Ihre Telefonnummer.«
Einart, der sich während des Telefonats mit seinem Computer beschäftigt hatte, hielt ihn am Ärmel seines Habits fest, nachdem
Padrig den Hörer aufgelegt hatte.
»Warte einen Augenblick«, sagte er, und Padrig sah, wie er einen Ausdruck anfertigte. »Du hast soeben eine E-Mail bekommen.
Von einem Inspektor Morgenstern aus Haifa.«
Padrig überflog den Ausdruck und obwohl er sich nicht im klaren darüber war, ob er dem israelischen Ermittler vertrauen konnte,
griff er zu Bruder Einarts Erstaunen wortlos zum Telefonhörer und tippte die in der E-Mail angegebene Nummer in Israel ein.
»McFadden«, sagte er kurz angebunden, als sich Morgenstern am anderen Ende der Leitung meldete. Der Inspektor hatte um Rückruf
gebeten, weil er nähere Informationen zu einer Internetauktion mit einem dort angebotenen zweitausend Jahre alten Chanukkaleuchter
haben wollte. Er interessierte sich in erster Linie für das Icon des Anbieters – ein Pentagramm mit einem Widderkopf. Padrig
hatte den Weblink drei Wochen zuvor an Sarah
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