Die Gegenpäpstin
Flug verlief überaus ruhig. »Man nennt diesen Airport auch den päpstlichen Flughafen«, erklärte der Flugkapitän, seinem
Akzent nach ein Schweizer, kurz vor dem Landeanflug. »Von hier aus unternimmt der Papst sämtliche In-und Auslandsflüge.«
»Na, dann können wir ja schon mal üben«, bemerkte Regine mit einem Augenzwinkern, während sie einen Blick durch das ovale
Kabinenfenster in den glutroten Abendhimmel warf.
Sarah mußte unentwegt an Padrig denken, der, wenn sie nicht alles täuschte, nur fünfzehn Kilometer vom Flughafen entfernt
in Rom in der Zentrale der Franziskaner lebte. Was er wohl dazu sagen würde, wenn er wüßte, daß sie sein Kind erwartete?
Am Flughafen wurden die Ordensfrauen von italienischen Frauenrechtlerinnen begrüßt, die die Kampagne der katholischen Kolleginnen
in Deutschland nicht nur unterstützten, sondern auch mitorganisiert hatten. Die Presse war hier in Rom nicht weniger penetrant,
und so war Sarah froh, als sie nach einem regelrechten Spießrutenlaufen durch etliche Reihen von geradezu bedrohlich aufgerichteten
Mikrofonen endlich in einem Wagen Platz nehmen konnte, dessen Fenster man verdunkelt hatte.
Die italienischen Schwestern hatten mehrere Suiten im
Cavallo Crown Hotel
gebucht. Dort erwarteten die Frauen ein erstklassiger Service und ein unverstellter Blick auf die Gärten des Vatikans.
»Ob der Heilige Vater spürt, welches Unheil sich in seiner Nähe einnistet?« frozzelte Regine, nachdem eine Bedienstete des
Hotels die schweren Samtvorhänge beiseite gezogen und mit ihnen die Aussicht auf die Gemächer des Oberhauptes der Christenheit
präsentiert hatte.
Sarah rang sich ein Lächeln ab und folgte der Hotelangestellten ins benachbarte Zimmer. »Schön hier«, sagte sie nur, während
sie ihre eigene Suite inspizierte. Mit einer Hand fuhr sie über das |335| purpurrote Satinbett, in dem sie jedoch zu ihrem eigenen Bedauern alleine schlafen würde. Na ja, nicht ganz allein, wenn sie
den noch winzigen Mitbewohner in ihrem Bauch berücksichtigte.
Regine war beinahe unbemerkt hinter sie getreten. »Wir treffen uns in zehn Minuten.«
Sarah fuhr herum, und die Beginenchefin versuchte aufmunternd zu lächeln. »Mit Rolf und Volker und unseren italienischen Kolleginnen.
Im Konferenzraum wollen wir eine kleine Andacht zelebrieren, danach gehen wir auf ein Glas an die Bar. Kommst du mit? Das
Dinner wird erst in zwei Stunden serviert.«
Erneut verspürte Sarah die Erschöpfung, die sie seit Wochen nicht verlassen wollte. Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Es tut mir leid. Ich bin ziemlich geschafft. Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich erst einmal duschen. Vielleicht komme
ich später nach.«
Nachdem Regine gegangen war, fühlte Sarah sich für einen Moment versucht, zum Telefon zu greifen und die Nummer der Franziskaner
von Rom zu wählen. Das Ordenshaus, in dem Padrig wohnte, lag nur einen Katzensprung entfernt, und die Frage, wie er dort lebte
und ob er vielleicht zu Hause war, ließ ihr einfach keine Ruhe. Beim Anblick der untergehenden Abendsonne wurde ihr Wunsch
übermächtig, wenigstens einmal zu sehen, wo der Vater ihres Kindes sein Zuhause hatte. Plötzlich klopfte ihr Herz, und das
Blut raste durch ihre Venen. Was wäre, wenn er tatsächlich anwesend war und ihr zufällig begegnete?
Ein Blick in den Spiegel verriet ihr, wie unmöglich sie aussah.
Rasch bändigte sie ihr Haar zu einer Aufsteckfrisur und überlegte dabei, was sie anziehen sollte. Ein rotes, leicht ausgeschnittenes
T-Shirt, dazu einen schwarzen Rock, der ihr fast bis zu den Knien reichte.
Einen Moment lang haderte sie mit sich, ob sie Regine einen Zettel hinlegen sollte. Eigentlich bestand die Ordenschefin auf
die Begleitung eines Leibwächters, wohin Sarah auch ging. Jedoch |336| war seit Padrigs Abreise nichts mehr geschehen, und auch Inspektor Morgenstern hatte sich nicht mehr gemeldet. Außerdem war
die Sache mit Padrig privat. Sarah wollte nicht, daß Regine oder Rolf von ihren Ambitionen erfuhren. Was wäre, wenn Padrig
sie nicht sehen wollte? Nein, entschied sie spontan. Bei einer weiteren Niederlage benötigte sie kein Publikum, selbst wenn
es sich dabei um gute Freunde handelte.
Als sie eine halbe Stunde später auf den langen Flur hinaustrat, war sie allein. Die beiden Bodyguards hatten ein Stockwerk
tiefer ihre Zimmer bezogen und wurden nur auf Abruf aktiv.
Sarah verspürte keinerlei Argwohn, als ihr im Aufzug ein
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