Die Gegenpäpstin
bis zu jenem Tag, an dem sich ihnen das Licht gezeigt
hatte? Der eine hatte früher, der andere später begriffen, was Jeschua damit gemeint hatte, als er sagte: »Ihr seid in mir,
und ich bin ich euch.«
|81| Jaakovs Blick fiel auf Mirjam. Sie lächelte im Schlaf, als ob sie seine Gedanken erraten würde. Er mußte sich die Vorstellung
in sein Gedächtnis rufen, daß unabhängig davon, was geschah, sie immer bei ihm sein würde, so wie Jeschua ihn nie verlassen
konnte, weil er ein Teil von ihm war, und doch …
Ließ der Allmächtige ihn etwa zweifeln?
Nein, eine Umarmung in dieser war nichts gegen eine Umarmung in der jenseitigen Welt, in der man tausendmal mehr Liebe für
einander empfand. Mirjam hatte von Beginn an verstanden, sie war eine der ersten, die Jeschuas Lehre gefolgt war. Und wenn
sie etwas nicht verstand, hatte sie sich nie gescheut nachzufragen.
Ganz im Gegensatz zu ihrem begriffsstutzigen Bruder Lazarus, der, bevor er zu Jeschua gestoßen war, eine Zeitlang im Orden
der Essener verbracht hatte. Bis er sich in einem Anfall von geistiger Umnachtung bei lebendigem Leibe hatte beerdigen lassen,
weil er glaubte, so würde sein Geist schneller in den Himmel auffahren. Jeschua selbst, der die Lehren der Essener aus eigener,
unseliger Erfahrung kannte, war es schließlich gewesen, der ihn nach drei Tagen ohne Wasser und ohne Nahrung befreit hatte.
Ohne Kraft zu vergeuden hatte er den schweren Stein beiseite gerollt, allein durch Konzentration, und damit erneut bewiesen,
wozu der Körper imstande war, wenn der Geist die rechten Anweisungen gab.
Alle hatten von einem Wunder gesprochen. Vor allem das einfache Volk streute die Nachricht von einem neuen Messias, der Tote
aufwecken konnte, in alle Winde.
Aber nichts hatte Jeschua mehr Freude bereitet, als die glücklichen Augen von Mirjam zu sehen, die ihren tot geglaubten Bruder
in ihre Arme schloß. Nach dessen Errettung war sie Jeschua ungestüm um den Hals gefallen und hatte ihn vor aller Augen auf
die bärtige Wange geküßt.
Von da an war nichts mehr wie zuvor gewesen. Mirjam und Jeschua waren nicht nur am Tage zusammen, was auch nichts |82| Besonderes war, da Jeschua diese Zeit allen Anhängern widmete, die andächtig seinen Worten lauschten. Nein, Mirjam und Jeschua
verbrachten nun ebenso die Nächte miteinander. Sie saßen bis zum frühen Morgen im Staub der Wüste und redeten, selbst nachdem
das Lagerfeuer längst erloschen war, und wenn sie schwiegen, beobachteten sie gemeinsam die Sterne, oder sie gingen zum Strand
und betrachteten die sanften Wellen des Sees und das Licht des Mondes, das sich auf ihnen brach. Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet
glaubten, hielten sie sich an den Händen und küßten sich, und bald darauf ging die frohe Kunde, daß sie sich miteinander vermählen
wollten …
|83| 9.
Januar 2007 – Missing in Action
Trotz aller Querelen mit Bergman wollte Sarah es sich nicht nehmen lassen, bei den Vorbereitungen zur Überführung der bei
Jebel Tur’an gefundenen Leichen zu helfen. Vielleicht ergab sich dabei noch einmal die Möglichkeit, einen letzten Blick auf
die sterblichen Überreste ihrer angeblichen Urahnin zu werfen.
Aaron, der zusammen mit Bergman den Transfer der Fundstücke begleiten wollte, war bereits um sechs Uhr morgens auf dem Campus.
Sarah traf gegen sieben Uhr ein, und nur wenig später stieß auch Doktor Rolf Markert hinzu, der nicht begreifen konnte, daß
der Fund tatsächlich von der IAA konfisziert worden war.
»Es ist unglaublich, was sich eure Behörden da leisten«, entrüstete er sich. »Nach allem, was ich bisher mitbekommen habe,
handelt es sich um eine Jahrtausendentdeckung. So etwas einfach unter den Teppich zu kehren grenzt an eine Kriegserklärung
gegen die moderne Wissenschaft. Man stelle sich vor, wir hätten im Neandertal den Leichnam König Davids nebst Gemahlin entdeckt
und dazu seine handschriftlichen Memoiren. Und dann beschließen wir, den Fund heimlich im Keller des Pergamonmuseums in Berlin
zu verstauen, weil ansonsten jüdische Pilgerströme zu befürchten wären. Wie würden eure Regierung und eure Glaubensbrüder
darauf reagieren?«
»Es tut mir leid, Rolf«, entgegnete Sarah in einer frisch gewonnenen Vertrautheit, in der Markert und sie beschlossen hatten,
sich das »Du« anzubieten. »Wir sind alle entrüstet, vor allem Professor Bergman, der sich um die Gelegenheit zu einer einmaligen
Publikation betrogen
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