Die Gegenpäpstin
entschieden hat, wer die alte Dame letztendlich bekommt, werden wir sie und ihren Begleiter in unsere
Obhut nehmen. Mehr sage ich dazu nicht.« Während er sich bereits zur Tür wandte, blickte er von Aaron zu Professor Bergman
hin. »Trotz aller Querelen erwarte ich Ihre Bereitschaft, mir bei der Überführung der sterblichen Überreste behilflich zu
sein. Es sei denn, Sie wollen eine etwaige weitere Zusammenarbeit von vornherein unmöglich machen.«
Aaron erwiderte ebensowenig wie Bergman etwas darauf, und Sarah beschlich das Gefühl, daß ihre beiden Ex-Liebhaber längst
nicht den Mumm in den Knochen hatten, den sie ihr von Zeit zu Zeit so gerne vorgaukelten.
Bergman ergriff erst wieder das Wort, als Doktor Schwartz in Richtung Aufzug verschwunden war.
Ohne sie direkt anzuschauen, sagte er schmallippig und so, als stände er tatsächlich unter Schock: »Ich brauche euch nicht |78| mehr.« Auf Sarahs Verwandtschaft mit der aufgefundenen Mumie ging er mit keinem Wort ein.
»Und was machen wir nun?« fragte Sarah, als sie wenig später mit Aaron in der Cafeteria saß.
»Keine Ahnung«, grummelte Aaron düster. »Ich habe noch den Zahn. Er liegt in einem meiner Schließfächer. Ich werde den Teufel
tun und ihn diesem Eli Schwartz zur Verfügung stellen. Wenn du willst, werden wir uns rechtliche Hilfe einholen. Vielleicht
läßt sich doch etwas drehen, wenn wir beweisen, daß es sich bei der Mumie um deine Ur-ur-urgroßmutter handelt.«
»Das ist doch lächerlich und rechtlich überhaupt nicht von Belang«, bemerkte Sarah. »Und stell dir vor, was mein Vater sagen
wird, wenn er von meiner Herkunft erfährt? Wenn ich es richtig verstanden habe, stammt also meine Mutter von Mirjam von Taricheae
ab. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das gehen soll? Über all diese Jahre.«
»Wir sprechen von etwa achtzig bis hundert Generationen«, erläuterte Aaron. »Und immer waren es Töchter, die das Erbmaterial
an die nächste Generation weitergegeben haben.«
»Ich weiß nicht viel über meine Familie mütterlicherseits«, sagte Sarah und trank einen Schluck Milchkaffee. »Einige Vorfahren
meiner Mutter hatten ihre Wurzeln in Ägypten. Nur hat nie jemand ein Wort darüber verloren. Es hieß immer, ihre Familie stamme
aus der Schweiz. Wenn es um die Familie meines Vaters geht, sieht es ganz anders aus. Bereits im Mittelalter gehörten seine
Vorväter zu einer langen Reihe von Rabbinern.«
»Soweit ich weiß, gab es vor zweitausend Jahren eine jüdische Enklave in Ägypten«, erklärte Aaron. »Vielleicht haben die Nachfahren
der Mirjam von Taricheae dort gelebt?«
»In jedem Fall bedeutet es, daß sie Kinder hatte. Geht darum nicht zur Zeit ein Streit in der christlichen Welt?« Sarah nippte
wieder an ihrem Kaffee.
|79| Aaron mußte lachen.
»Was ist so witzig daran?«
»Nichts.« Er lächelte und wischte ihr in alter Vertrautheit den Milchschaum von den Lippen.
|80| 8.
62 n. Chr – Familienbande
Womit soll ich beginnen?
sagte Jaakov mehr zu sich selbst. Er starrte auf das leere Pergament, den Pinsel in der Hand, unschlüssig, ihn in die teure,
römische Tinte zu tauchen. Er hatte keine Ahnung, was Mirjam von ihm erwartete. Was genau sollte er niederschreiben?
Mirjam war eingeschlafen, noch bevor die Nacht hereingebrochen war. Sie war müde, wie man nach einem langen anstrengenden
Leben müde war. Obwohl sie längst nicht so alt war wie er selbst, kam es ihm vor, als würde er sie ewig kennen, weit länger
als ein Menschenleben gewöhnlich andauerte, und vielleicht entsprach das sogar der Wahrheit.
Aber wie erklärte man so etwas seinen Brüdern und Schwestern, die weit entfernt von allem, das ihnen Erleuchtung bieten könnte,
in ihrer unvollkommenen Welt lebten, mit eben jenen Schatten an der Wand, die ein griechischer Philosoph so treffend beschrieben
hatte? Und wie erklärte man den Ursprung dieser Schatten seinen Kindern, die ohnehin alles besser wußten, von Generation zu
Generation, ohne jegliche Bereitschaft, etwas anzunehmen, und schon gar nicht von ihren eigenen Eltern?
Mirjam stellte ihn vor eine schier unlösbare Aufgabe, und wenn er sich recht besann, hatte sie darum gewußt. Vielleicht war
es eine Ehre, daß sie ausgerechnet ihn dafür auserkoren hatte, die frohe Botschaft all ihrer Erkenntnisse für ihre einzige
Nachfahrin und alle, die ihr folgen würden, aufzuschreiben.
Waren er und die anderen nicht selbst unmündige Kinder gewesen? Unwissend
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