Die Gegenpäpstin
bleibt.«
»Wir haben ein Gästezimmer«, sagte Sarah, und ihr Blick fiel |101| auf ihren Vater, von dem sie sich Trost erhoffte, dessen Miene aber reglos blieb.
»Ich muß mit dir reden«, sagte Rabbi Rosenthal zu seiner Tochter, nachdem die Polizisten gegangen waren. Leah begann das Geschirr
abzuräumen und verzog sich in die Küche.
»Ich hoffe, du willst mir keine Moralpredigt halten«, erklärte Sarah gereizt.
»Setz dich«, forderte er sie unmißverständlich auf. »Wie du weißt, schätze ich deine Beschäftigung nicht sonderlich«, begann
er mit dunkler Stimme. »Ja, ich halte sie sogar für gefährlich. Und du kennst meine Einstellung zur Störung der Totenruhe.
Es gibt jedoch einen gewaltigen Unterschied zwischen mir und denen, die dieses Vorgehen mit weit weniger Toleranz beobachten.
Ich habe gestern in der Zeitung dein Bild gesehen. Du warst nicht gut zu erkennen, aber euer Institut wurde genannt und daß
ihr oben in Jebel Tur’an mit einer Grabung beschäftigt seid.«
Sarah wich dem prüfenden Blick ihres Vaters aus, indem sie ihre Hände betrachtete.
»Ich weiß nicht, was ihr da gefunden habt, aber könnte es ein Fund von größerer Bedeutung sein? Viel größer, als du vor den
Polizisten zugegeben hast?«
»Wie kommst du darauf?« Sarah spürte, wie ihre alte Unsicherheit aufwallte, die sie ihrem Vater seit Kindertagen entgegenbrachte,
wenn er sie in dieser Weise anschaute.
»Wie dir bekannt sein dürfte, habe ich gute Kontakte zum Hohen Rat der Rabbiner. Der sogenannte Sanhedrin wurde vor zwei Jahren
nach beinahe sechzehnhundert Jahren neu begründet. Einige der Mitglieder kenne ich persönlich, und ich habe zufällig mit angehört,
daß man darüber nachdenkt, die Regierung zum Handeln aufzufordern, wenn weiterhin von Archäologen die Totenruhe in uralten
Gräbern gestört wird. Sarah, ich mache mir ernsthaft Sorgen. Du könntest zu Schaden kommen, falls du an solchen Forschungen
beteiligt bist. Hast du mich verstanden?«
|102| »Ja, Vater«, flüsterte sie. Nie würde sie ihren Vater vom Sinn ihrer Arbeit überzeugen können.
Erst nachdem sie sicher sein konnte, daß ihr Vater zu Bett gegangen war, holte Sarah in der Abgeschiedenheit des Gästezimmers
ihren dienstlichen Laptop hervor und machte sich wieder an die Übersetzung der Pergamente. Vielleicht würde sie ja etwas finden,
daß eine Entführung Bergmans erklärte.
|103| 10.
62 n. Chr. – Wasser zu Wein
Bereits unmittelbar nach dem Erwachen spürte Mirjam, daß es ein guter Morgen werden würde. Was konnte schon schiefgehen, wenn
man ausgeruht in den Tag blinzelte, keinen Schmerz verspürte, der Duft frischgebackenen Brotes durchs Haus strömte und durch
einen Türspalt die Sonne hereinlachte.
Draußen vor der Hütte klapperte Jaakov mit Eimern und Töpfen und fluchte verhalten, weil die Ziegen und Schafe keinerlei Bereitschaft
zeigten, ihm so ohne weiteres ihre kostbare Milch abzutreten.
Mirjam drehte sich noch einmal auf ihrem Strohlager um und kuschelte sich in eine alte Wolldecke, die nach Jaakov duftete
und irgendwie auch nach Jeschua. Daß die beiden Brüder gewesen waren, hatten sowohl ihre ähnlich klingenden, dunklen Stimmen
verraten als auch der betörend männliche Duft, der beide umgab und den Mirjam als verwirrend empfunden hatte, als sie Jeschua
zum ersten Mal nahe gekommen war. All die vielen Erinnerungen erhoben sich unerwartet wie aus einem Nebel und mit ihnen der
Ort, wo ihre einzige Liebe besiegelt worden war. Kanaa, dort wo der Rabbi sie und Jeschua tatsächlich zu Mann und Frau bestimmt
hatte.
»Wenn aus tiefer Freundschaft wahre Liebe erwächst«, hatte Jeschua gesagt, als er zu den Hochzeitsgästen sprach, »dann ist
es, als ob sich lebendiges Wasser in edlen Wein verwandelt.«
Viel später hatte die vergnügte Gesellschaft das Paar zur Brautkammer geleitet, wo es die erste gemeinsame Nacht verbringen
durfte. Blumengeschmückt das hochherrschaftliche Bett, Räucherkerzen, Duftlampen und ein leiser, kühlender Nachtwind, der
durch die seidigen Vorhänge strich.
Dann Stille, als alle gegangen waren, und eine verhaltene Scheu, |104| die Mirjam kurz empfand, während Jeschua mit seinen sanften Augen auf sie herabblickte, als ob sie wissen müsse, was nun zu
tun sei.
Jedoch
er
war es, der den Schleier hob. Und mit geschlossenen Augen gab sich Mirjam dieser noch jungfräulichen und doch berauschenden
ersten Begegnung hin. Noch immer spürte sie den
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