Die Gegenpäpstin
unendlich lang erscheinenden Kuß auf ihren Lippen, leicht wie eine Feder,
ohne jegliches Drängen und doch wie ein Blitz, der in einen jungen Baum fährt und ihn mühelos in zwei Teile spaltet. Benommen
stand sie am offenen Fenster, während er auf einen hellen Stern deutete, der von nun an Symbol für ihr gemeinsames Leben sein
würde, ganz gleich, wie weit sie sich auch immer voneinander entfernten.
Ihre Hände streichelten sein Haar und zogen sein Haupt zu sich herab, und der nächste Kuß, ihr Kuß, war nicht weniger leidenschaftlich
als der seine.
Jeschua löste die Fibel ihres Gewandes und trug sie auf das weiche Lager. In inniger Umarmung offenbarte sich ihnen das Paradies,
denn das und nichts anderes mußte es ein, wenn sich zwei Leiber vereinten, deren Seelen bereits seit langem verwoben waren.
Hernach lagen sie ruhig, und sein kräftiger Herzschlag offenbarte ihr das Leben, sein Leben, das sie fortan in sich trug und
das sie beide auf ewig verbinden würde. Und als er schlief, horchte sie auf seinen regelmäßigen Atem, den Kopf vertrauensvoll
an seine Brust geschmiegt.
Als sie am nächsten Morgen in seinen Armen erwachte, fühlte sie sich ausgeruht und verspürte keinerlei Schmerz. Der Duft frisch
gebackenen Brotes zog durch das Haus, und durch das kleine Fenster lachte die Sonne herein, als ob das ganze Leben ein einziges
Kinderspiel wäre – ohne Angst und ohne jegliches Leid.
|105| 11.
Januar 2007 – Stein der Ewigkeit
Sarah stolperte durch den engen, düsteren Höhlengang unaufhörlich abwärts. Unvermittelt stand sie in einer Halle, die sie
schon einmal zuvor gesehen hatte. Überall, in allen Nischen und Winkeln saßen und standen Menschen, dunkelhaarig, eingehüllt
in lange Gewänder.
Dann ein Aufruhr. Ein Trupp junger Männer in heruntergekommener, schmutziger Kleidung bahnte sich einen Weg durch die Menge.
Sie schienen etwas mit sich zu tragen. Manche Menschen stöhnten, anderen standen Trauer, Wut oder sogar Haß ins Gesicht geschrieben.
»Er ist tot«, schrie eine alte Frau, ganz außer sich vor Entsetzen. »Sie haben ihn getötet!« Die Frau zitterte am ganzen Leib.
Ein Aufschrei der Empörung ging durch die Menge. Fäuste wurden drohend gehoben, Klagelieder angestimmt. Die jungen Männer
hoben einen leblosen, in Tücher eingehüllten Körper über ihre Köpfe hinweg. Entschlossen schoben sie die Menschen dann beiseite
und legten den Toten auf dem Boden ab. Der Stoff, der ihn umhüllte, war ehemals weiß gewesen, doch nun war er staubig und
blutgetränkt.
»Wir wollen ihn sehen!« rief eine weitere Frau. Sie war jung und anmutig, doch ihr Gesicht wirkte ausgezehrt. Einer der älteren
Männer trat hervor und gebot den Lärmenden mit schweigendem Respekt Einhalt. Sarah hatte das Gefühl, sich langsam und mit
unsicherem Schritt durch die erstarrte Menge zu bewegen. Vorsichtig schlug sie das Leinen beiseite, welches das Antlitz des
Toten bedeckte. Beim Anblick des zerschundenen Gesichtes stockte ihr der Atem. Es war Aaron! Sie spürte, wie ihr die Sinne
schwanden und sie jeglichen Halt verlor.
Schweißgebadet erwachte Sarah. Es dauerte einen Moment, bis |106| sie sich erinnerte, daß sie sich im Bett des Gästezimmers befand. Ihr Schädel hämmerte, und ein Blick auf die Uhr verriet
ihr, daß es erst sechs Uhr in der Frühe war.
Hastig erhob sie sich, zog sich ihren Hausmantel über und ging ins Bad. In der Diele registrierte sie, wie der Bote die Morgenzeitung
in den Briefkasten steckte. Ein Blick in die neue Ausgabe ließ sie erneut erschaudern.
Haifas renommierter Archäologieprofessor von arabischen Terroristen entführt?
stand auf der ersten Seite in großen Lettern zu lesen. Über dem Artikel hatte man ein Foto Bergmans abgedruckt. Er lächelte
ein wenig arrogant und sah eher wie jemand aus, dessen Konterfei man in den Klatschspalten der Boulevardpresse erwartete.
In dem Bericht hieß es, Bergman sei vermutlich das Opfer einer Entführung geworden, während er sich unvorsichtigerweise auf
dem Weg von Haifa nach Jerusalem durch die besetzten Gebiete gewagt habe. Kein Wort von ihrem Fund oder der Beteiligung der
IAA. Lediglich der Tod des Fahrers wurde erwähnt. Von Aaron war auch mit keinem Wort die Rede.
Wütend und ohne Frühstück verließ Sarah gegen halb acht das Haus.
Nachdem ihr Wagen zum wiederholten Mal nicht anspringen wollte, zückte sie ihr Mobiltelefon und beauftragte eine Werkstatt,
ihren Mini abzuholen und ihr
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