Die Gegenpäpstin
zweitausend Jahre alten Leichen zu berichten.
»Es handelt sich bei den Toten mit hoher Wahrscheinlichkeit um die sterblichen Überreste der Maria von Magdala und des Jaakov
von Nazareth«, führte sie aus. Ein Raunen breitete sich unter den Frauen aus, das noch lauter wurde, als Sarah auf die gefundenen
Pergamente zu sprechen kam. »Nach allem was ich bisher ermitteln konnte«, fuhr sie fort, »war Mirjam von Taricheae oder Maria
von Magdala, wie sie auch genannt wird, gleichberechtigt unter den Anhängern Jesu, wobei ihr jedoch eine Sonderstellung eingeräumt
werden muß, da sie im späteren Verlauf der Geschichte offenbar die Gefährtin des Jeschua ben Jose wurde und in den folgenden
Jahren, als sie nach dessen Kreuzigung fliehen mußte, als Apostelin in Alexandria und Ephesus gewirkt hat. Es sollte vielleicht
hervorgehoben werden, daß sie den Streit der Judenchristen |175| und Heidenchristen um die Vorherrschaft der reinen jüdisch-christlichen Lehre abgelehnt hat. Wie Jesus selbst lag ihr offenbar
nichts daran, Unterschiede zu machen, ob jemand beschnitten war oder nicht, noch welchen Speisegesetzen man folgte. Dieser
Umstand könnte in ihrer Herkunft begründet sein. Väterlicherseits entstammte sie einer griechischen Kaufmannsfamilie, die
in Galiläa lebte und mit dem hellenistischen Judentum sympathisierte. Nach allem, was ich herausfinden konnte, war sie eine
gebildete, vermögende Frau, die in jungen Jahren eine hervorragende schulische Ausbildung genossen hatte und sich bereits
vor ihrer Hinwendung zu Jesus mit verschiedenen philosophischen Lehren beschäftigte.«
Eine etwa sechzigjährige, dunkelhaarige Frau aus dem Publikum meldete sich. Regine gestatte ihr mit einem Nicken eine Zwischenfrage.
»Stimmt es, Sarah, daß es eine genetische Untersuchung gegeben hat, nach der Sie mit der aufgefundenen Mumie in direkter Linie
verwandt sind?«
»Ja, das trifft zu«, erwiderte Sarah ohne eine weitere Erklärung. Dieses Thema hätte sie am liebsten vermieden.
»Wenn Sie also nachweislich in der Blutlinie der Apostelin Maria Magdalena stehen, schlage ich vor, daß man Sie während unserer
Kundgebung Ende März symbolisch zur Gegenpäpstin ausruft. Das wäre ein eindeutiges Signal für all unsere Schwestern weltweit,
sich endgültig gegen den Vatikan zu erheben und die gleichen Rechte für alle katholischen Frauen nicht nur einzufordern, sondern
als gegeben anzusehen.«
Wieder breitete sich ein Raunen unter den Frauen aus.
Regine ging zum Podium und hob die Hände, um eine Diskussion unter den Frauen zu unterbinden. Sie blickte Sarah lächelnd an.
»Ich halte diese Idee für sehr gut. Du bist zwar keine Christin, aber in dir lebt die leibhaftige Maria Magdalena fort. Damit
könntest du einen unumstößlichen Gegenpart zur patriarchalischen Kirche darstellen. Unser Heiliger Vater bezieht seine |176| Legitimation schließlich auch aus der Nachfolge des Petrus, die angesichts der nachgewiesenen Rolle der Maria Magdalena im
Neuen Testament längst nicht geklärt ist. Die Frage ist nur, ob du mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden wärest?«
Unter den Frauen wurde da und dort aufmunternd geklatscht, die meisten aber warteten wie gebannt, was Sarah zu antworten gedachte.
Sie schwieg einen Moment. Mit diesem Anliegen hatte sie nicht gerechnet. »Ich habe leider nicht die geringste Ahnung, was
das für mich und mein weiteres Leben bedeuten würde«, sagte sie zögernd. »Ich bin Jüdin, ist euch das klar?«
»Maria von Magdala war auch Jüdin«, erwiderte Regine lächelnd. »Im übrigen geht es uns nicht um das tatsächliche Amt einer
Päpstin. Es bedeutet vor allem«, erklärte sie mit Blick auf ihre Mitschwestern, »daß wir unseren Protest gegen die Vorherrschaft
der Männer in der römisch-katholischen Kirche symbolhaft zum Ausdruck bringen. Eine Frau als Gegenpäpstin, die von Maria Magdalena
abstammt, kann der Vatikan nicht ignorieren.«
Aus den Kreisen der Frauen kamen einige aufgeregte Rufe. »Das ist unsere Chance, es den Männer zu zeigen!« rief eine. »Ja,
damit verändern wir nicht nur die Kirche«, stimmte eine andere zu.
Sarah blickte wie betäubt in die Gesichter der Ordensschwestern. »Also gut«, sagte sie schließlich. »Ich werde eure Sache
unterstützen und bei eurer Kundgebung als Gegenpäpstin zur Verfügung stehen.« Es war nicht nur die Überzeugung, einer guten
Sache zu dienen, die sie zu diesem Schritt bewog. Ebensosehr
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