Die Gegenpäpstin
Krankheit gestorben. |172| Manche hatten gemeint, ein Fluch habe auf ihr gelegen, weil sie sich weigerte, ihrem Sohn gehorsam zu sein.
Bald darauf starb auch Mirjams Mutter im Kindbett, und dann erlosch auch das Lebenslicht ihres Vaters. Viele behaupteten,
er sei aus Kummer gestorben. Ein dunkler Schatten legte sich auf Mirjams Herz. Ihre Erlösung hatte sie Jeschua zu verdanken
und den vielen Freundinnen und Freunden, die sie auf ihrem gemeinsamen Weg begleitet hatten.
Im Gedenken an alle, die sie jemals geliebt hatte und deren Leiber in dieser heiligen Erde begraben waren, ließ sie ihren
Blick durch das weite Tal schweifen. Wie sehr hatte sie an dieser Umgebung gehangen und wie schwer war es ihr gefallen, dieses
Land zu verlassen – damals im dreiunddreißigsten Jahr nach Jeschuas Geburt und nur ein paar Wochen nach seinem Tod.
Eilig hatte sie ihre Tochter reisefertig gemacht und war zusammen mit ihrer Schwester und ein paar anderen Frauen vor den
heraneilenden römischen Soldaten geflohen. Dabei waren es nicht zuerst die Römer gewesen, die es zu fürchten galt. Die römischen
Reiterlegionäre handelten, ohne wirklich zu wissen, daß ihr wahrer Feldherr ein anderer war. Hannas I. Hohepriester des Rates
der Juden, der für den Tod Jeschuas verantwortlich zeichnete. In Mirjams Augen war sein Nachfahre, Hannas ben Hannas, ein
Hai der gleichen Sorte, der es geschickt verstand, im Teich des ahnungslosen römischen Statthalters von Judäa die Fische zu
fressen.
In einer beschwerlichen und gefährlichen Reise hatte Mirjam ihre Tochter zu einer frommen jüdischen Familie gebracht, die
nicht weit von der Grenze zu Ägypten nach den Lehren Jeschuas lebte. Es waren aufrichtige Menschen, denen Mirjam nicht nur
Sarah, sondern auch ein stattliches Vermögen anvertraute, das den Lebensunterhalt und die Ausbildung des Mädchens sichern
sollte.
Nach einem tränenreichen Abschied hatten sich die engsten Vertrauten Jeschuas in alle vier Winde zerstreut. Martha war, von |173| einigen Getreuen begleitet, über das Meer geflohen. Mirjam selbst war mit einer Gruppe von Frauen, darunter Jeschuas Mutter
Maria und deren Söhne Thomas Dydimos und Jochannan, in den Osten gegangen, nach Ephesus, wo es bereits einige christliche
Gemeinden gab. Hier fanden sie Ruhe, um Kraft zu schöpfen und Strategien zu entwickeln, wie sie den neuen Glauben verbreiten
konnten. Es war eine unendlich schwere Zeit gewesen. Noch immer spürte sie die Verzweiflung und den Schmerz, den sie über
all die Jahre empfunden hatte, und noch immer hörte sie seine leise dunkle Stimme so klar, als ob
er
neben ihr stehen würde.
»Dir mangelt es an Vertrauen, Mirjam von Taricheae, doch ohne Vertrauen geht es nicht. Und ohne dich geht es auch nicht. Du
mußt all meinen Jüngern und Jüngerinnen ein Vorbild sein. Sie brauchen jemanden, an dem sie sich aufrichten können. Mirjam,
richte dich auf und folge unserem gemeinsamem Weg, dann wird dir nichts geschehen. Siehe, ich habe das Feuer auf die Erde
geworfen, ihr müßt es hüten, so lange, bis die ganze Welt lodert.«
»Mirjam?« Im Innern der Hütte regte sich etwas. Jaakov war endlich wach geworden. Mit zerzaustem Haar trat er ins Freie. Mirjam
mußte lachen. Er sah aus wie ein wütender Widder, dem man das Vlies gegen den Strich gebürstet hatte.
»Was tust du hier?« fragte er unwirsch.
»Ich habe Wasser geholt«, antwortete sie und hielt ihm den vollen Eimer hin.
Jaakov nahm ihn mit einem fragenden Blick entgegen. »Und was hast du vor?«
»Schreiben, Jaakov. Wir sollten endlich anfangen!«
|174| 19.
Februar 2007 – Die Gegenpäpstin …
Seit vergangenem Montag war in der Zentrale des Ordens von Sankt Magdalena die Hölle los. Kaum hatte Regine von Brest ihr
provozierendes Telefax an den Vatikan entsandt, berief sie eine Zusammenkunft sämtlicher Mitschwestern nach Köln ein.
Bereits am darauffolgenden Nachmittag versammelte sich mehr als die Hälfte der einhundertvierundvierzig Ordensfrauen im großzügigen
Konferenzsaal der Villa, wobei nicht alle so kurzfristig der Einladung ihrer Vorsteherin hatten Folge leisten können.
Regine hatte Sarah gebeten, einen Überblick über ihre bisherigen Untersuchungsergebnisse zu geben. Es dauerte eine Weile,
bis Ruhe einkehrte und Sarah ans Podium trat und mit einem Beamer die Fotos des Fundortes vom Jebel Tur’An auf eine eigens
dafür vorgesehene Leinwand projizierte. Dann begann sie von der Entdeckung der
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