Die Gegenpäpstin
seinen Arm noch fester um sie schloß. »Ich könnte es nicht ertragen«,
fuhr sie mit erstickter Stimme fort, »wenn dir etwas zustoßen |191| würde. Ich will keinen einzigen Tropfen Blut mehr sehen. Begreifst du das?«
»Ja«, flüsterte er dunkel. »Ich begreife das. Ich war nicht fähig, der Kreuzigung meines Bruders beizuwohnen, aber du hast
es vollbracht und ihm damit einen wahren Liebesdienst erwiesen.«
»Was hätte ich machen sollen? Ihn alleine lassen? Nach allem, was uns verbunden hat? Nein, ich konnte nicht von seiner Seite
weichen.« Ihre Stimme versagte, und Jaakov wünschte sich, er hätte nicht davon angefangen.
»Ich werde diesen Tag niemals vergessen, selbst über den Tod hinaus nicht, hörst du?« Wieder suchte sie seinen Blick, doch
Jaakov hielt seine Augen geschlossen, um seine Tränen zurückzuhalten. »Er hat mir gesagt, was er vorhatte, lange bevor er
es euch Männern gesagt hat. Er sagte, sein Tod würde die Menschen eines fernen Tages von all ihren Sünden erlösen. Und nur
wenn
er
zurückginge, zum Ursprung allen Seins, dorthin, wo er uns in Gedanken schon tausendmal hingeführt hat, könne er für die Menschen
etwas bewirken. Ich wagte es nicht, ihn nach dem Wohl unseres Kindes zu befragen, noch hatte ich den Mut, ihn meinetwegen
von seinem Weg abzubringen. Ich wußte es längst, nichts im Leben geschieht zufällig. Wir alle haben unser Schicksal zu erfüllen.
Jeder von uns ist ein Teil von
ihm
, wie eine Spiegelscherbe, die sich zu einem einzigen großen ganzen fügt und das Licht
seiner
Welt erwidert.«
Mirjam schwieg für einen Moment, und als sie erneut aufschaute, weinte sie still. »Ich erinnere mich noch gut an unsere vorletzte
Begegnung, er war tot und doch so lebendig wie du und ich. Ich sah das Licht, von dem sein Körper umgeben war, und der Drang,
ihn zu berühren, war übermächtig. Er sagte:
Ich bitte dich, halt mich nicht fest, sonst kann ich nicht in den Himmel aufsteigen.
Und da wußte ich, alles, was er mir je gesagt hat, entspricht der Wahrheit. Ich wußte, ich würde mit ihm vereint sein, eines
Tages, wenn meine Stunde gekommen ist, und doch war ich traurig, weil |192| ich es als ungerecht empfand, mit unserem Kind zurückbleiben zu müssen.
Du hast eine Aufgabe zu erfüllen,
sagte er mir,
wie jeder Mensch seine Aufgabe zu erfüllen hat. Ich werde mit euch sein, wo immer ihr auch seid, und eines nicht allzu fernen
Tages werde ich euch in meine Arme schließen. Vertrau mir!
Das waren seine letzten Worte. Ich konnte sie hören, obwohl seine Lippen stumm blieben.«
Jaakov seufzte. Wie ein kleiner, gebrechlicher Vogel schmiegte sie sich an ihn, und die Liebe, die er für sie empfand, war
weitaus überwältigender als der Schmerz in seiner Brust.
»Ich liebe ihn, Jaakov, so wie am ersten Tag, und dich liebe ich nicht weniger. Ich könnte es nicht verwinden, wenn dir das
Gleiche geschieht. Selbst wenn ich wüsste, daß du danach in den Himmel auffährst, würde es mich nicht trösten. Nicht, wenn
ich nur einen Tag ohne dich zurückbleiben müsste.«
»Ich werde auf mich aufpassen«, versprach er mit rauher Stimme, wohl wissend, daß es ein leeres Versprechen sein würde. »Ich
komme auf jeden Fall zurück, ich kann dich doch nicht im Stich lassen.«
Mirjam schaute auf und befreite sich aus seiner Umarmung, dann zog sie seinen Kopf zu sich herab und küßte seine weichen,
salzigen Lippen. »Ich werde bei dir sein, Kraft meiner Gedanken, wohin du auch immer gehst, so wie
er
bei mir ist«, flüsterte sie.
|193| 23.
Februar 2007 – Bodyguard
Obwohl Sarah immer noch zitterte, spürte sie, daß ihr die dunkle, rauhe Stimme des Fremden ein Gefühl der Sicherheit verlieh.
Außerdem hatte er die gütigsten, blauen Augen, die sie je bei einem Mann gesehen hatte.
Regine, die sonst so souverän wirkte, hatte zu schluchzen begonnen. »So etwas passiert doch sonst nur im Fernsehen«, flüsterte
sie ungläubig, während sie an die Hauswand gelehnt auf dem Boden hockte und sich den Kopf hielt.
»Soll ich einen Arzt rufen?« Der Fremde beugte sich besorgt über Regine und hielt ihr ein Papiertaschentuch hin.
Während er in die Hocke ging, musterte Sarah ihn. Im Licht der Straßenlaterne schimmerte sein kurzes Haar kastanienfarben,
während sein kurz geschorener Bart um einige Nuancen heller wirkte. Ein Stück weiter stand sein Wagen mit offener Fahrertür.
»Wir müssen die Polizei rufen«, sagte Regine. Dann sah sie erschrocken auf.
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