Die Gegenpäpstin
»Wo ist dein Rucksack? Die Typen haben doch hoffentlich
nicht deinen Laptop mitgehen lassen?«
Wie vom Blitz getroffen schnellte Sarah herum, doch dann fiel ihr ein, daß ihr Laptop immer noch auf dem Rücksitz des Mercedes
lag.
Der Mann hatte sich erhoben und bedachte Sarah mit einem mitfühlenden Blick. »Wohnen Sie hier?« fragte er.
Sarah nickte und ging zum Wagen, um ihre Tasche zu holen.
Der Fremde folgte ihr und zückte erneut ein Papiertaschentuch. Als sie zurückkam, hatte er die Pistole von der Straße aufgehoben
und hielt sie, mit Daumen und Zeigefinger gefaßt, in die Höhe. Den Griff der Pistole hatte er zum Schutz vor seinen eigenen
Fingerabdrücken in das Taschentuch gewickelt.
|194| »Sind Sie Polizist?« Sarah sah ihn herausfordernd an. Wer benahm sich in einer solchen Situation schon so geistesgegenwärtig?
»Nein«, antwortete er und schaute ihr in die Augen. »Ich kenne mich nur ein wenig im Sicherheitsgeschäft aus.«
»Laßt uns nach oben gehen.« Regine hatte sich aufgerafft und ging schwerfällig zur Haustür. »Wir müssen die Polizei anrufen.«
Mit einem schiefen Lächeln wandte sie sich an ihren Retter. »Sie werden eine Zeugenaussage machen müssen. Außerdem würde ich
mich gerne erkenntlich zeigen. Wann läuft einem schon mal ein leibhaftiger Schutzengel über den Weg?«
Der Fremde winkte freundlich ab. »Wenn Sie gestatten, möchte ich meinen Wagen ordentlich parken, dann stehe ich Ihnen gerne
zur Verfügung.«
»So ist das in der Stadt«, fluchte Regine leise, als sie gemeinsam den Hausflur betraten. »Du könntest auf offener Straße
umgebracht werden, ohne daß es jemanden kümmert.«
»Es hat sich doch jemand gekümmert«, sagte Sarah lächelnd und erwiderte den blauen Blick des attraktiven Hünen, der ihnen
mit einer galanten Geste den Vortritt in den Aufzug ließ.
Rolf und Volker waren noch nicht zu Hause. Wie in den Tagen zuvor mußten sie sich um ihr abgebranntes Haus kümmern und mit
der Versicherung reden.
»Möchten Sie etwas trinken?« fragte Regine, nachdem sie das Wohnzimmer betreten hatten, und bevor irgend jemand eine Antwort
geben konnte, hatte sie drei Gläser und einen uralten Cognac auf den Tisch gezaubert. »Wir haben uns noch nicht vorgestellt«,
sprach sie weiter, während sie mit zitternder Hand die Cognacschwenker füllte. »Mein Name ist Regine von Brest, und das ist
Frau Doktor Sarah Rosenthal.«
»Padrig«, sagte er, und nach einem kurzen Zögern fügte er »Lacroix« hinzu. »Sie können mich Padrig nennen, wenn Sie möchten.«
|195| »Sie sind nicht aus Köln? Habe ich recht?« Regine schaute ihn immer wieder an, während sie eine Nummer in ihr Mobiltelefon
tippte, um die Polizei zu rufen.
»Nein«, bestätigte Padrig. Und während Regine offenbar die Polizei in der Leitung hatte, wandte er sich an Sarah. »Ich bin
Ire und komme aus Dublin. Ich versuche gerade, hier einen Job zu finden. Und Sie? Kommen Sie aus Köln?«
»Nein, aus Israel.«
Er schien sichtlich erstaunt. »Dann sind Sie wohl Kummer gewöhnt«, fügte er mit einem freudlosen Lächeln hinzu. »Nach allem,
was man so hört, ist es dort auch nicht gerade sicher.«
»Man kann sich an beinahe alles gewöhnen«, gab Sarah zur Antwort und betrachtete nachdenklich ihr Glas, das sie mit beiden
Händen gefaßt hielt.
»So hab ich’s nicht gemeint«, sagte er entschuldigend
Nur mit Mühe gelang es Sarah, ihn nicht unentwegt anzuschauen.
»Die Polizei kommt gleich«, warf Regine ein und nippte erneut an ihrem Cognac. »Sie schicken jemanden von der Kripo.«
Kommissar Hellriegel, ein etwa fünfzigjähriger Beamter der Kölner Kripo, sah in seinem zerknitterten Anzug und mit wirren
grauen Haaren aus, als hätte man ihn eben aus dem Bett geholt. Seine ruppige Art ließ jegliches Mitgefühl vermissen, und seine
Befragung entwickelte sich zu einem regelrechten Verhör, als er die Pistole in Augenschein nahm, die Padrig aufgehoben hatte.
Sarah wunderte sich, wie ruhig und gelassen Padrig Lacroix auf sämtliche Fragen antwortete, selbst als der Polizist sich überrascht
zeigte, daß er so spielend mit zwei Männern gleichzeitig fertiggeworden war.
»Ich habe eine Ausbildung in asiatischen Kampfsportarten«, erklärte der Ire geduldig.
»Sie haben unverschämtes Glück gehabt«, bemerkte der Kommissar süffisant. »Der Mann hätte sie alle erschießen können.«
|196| Sarah betrachtete Padrigs große, gepflegte Hände, die er locker
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