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Die geheime Braut

Die geheime Braut

Titel: Die geheime Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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vertraut ihm«, widersprach Luther. »Hätte er Seman sonst zum Stellvertreter seiner Werkstatt ernannt? Katharina schätzt ihn übrigens ebenfalls. Und sie hat ein untrügliches Gespür, was Menschen betrifft.«
    »Hat man eigentlich schon das Elbufer abgesucht?«, fragte Winsheim. »Es gibt durchaus Täter, die sich bei ihren Ver brechen gewisser Wiederholungen bedienen …« Erschrocken hielt er inne. »Was natürlich noch lange nicht heißt, dass die Vermisste tot sein muss«, sagte er rasch. »Ich wollte nur nichts ausschließen.«
    »Eine junge Frau, die spurlos verschwunden ist, das bedeutet in der Regel nichts Gutes«, sagte Melanchthon mit düsterer Miene. »Sie ist adelig und verlobt, habt Ihr gesagt? Nun, folglich wird kaum die Not sie aus dem Schloss getrieben haben.«
    »Aber möglicherweise Leichtsinn«, sagte Block. »So etwas kommt immer wieder vor, gerade in Adelskreisen. Bei den Festen des Kurprinzen soll es durchaus freizügig zugehen. Das hat man mir mehrfach zugetragen. Vielleicht hat sie sich dabei ja in einen anderen verschaut und ist mit ihm weggelaufen. Oder sie ist schon eine ganze Weile früher vom Pfad der Tugend abgekommen. Dann freilich gäbe es womöglich durchaus gewichtige Gründe für eine junge Dame, sich ab zusetzen, solange dazu noch Zeit ist …« Er rollte vielsagend die Augen.
    »Lasst uns hoffen und beten!«, sagte Luther mit ruhiger Stimme. »Für Dilgin von Thann, aber auch für unsere Stadt. Auf dass unser schönes Wittenberg ein Hort der Gottesfürchtigkeit bleiben möge – und kein verderbter Ort werde, an dem der Teufel regiert und zu Laster und Verbrechen einlädt.«
    Stille breitete sich aus.
    Nach einer Weile begann Schöneberg zu hüsteln.
    »Und wer bringt es ihnen jetzt bei?«, fragte er nach einer Weile. »Hunzinger – dass wir uns für ihn entschieden haben? Und vor allem Pistor – dass er auf Sand gebaut hat?«
    *
    Irgendwann musste sie trotz allem eingeschlafen sein, denn als Marlein die Augen wieder öffnete, war die Dunkelheit verschwunden.
    Es war Tag, helllichter Tag. Ihre Kehle fühlte sich ausgetrocknet an, und die Gliedmaßen brannten, als tobte flüssiges Feuer in ihnen. Aber sie lebte.
    Mit dem Zerschaben der Fesseln war sie nicht weit gekommen. Der Hanfstrick, der noch immer ihre Arme nach hinten zwang, hatte sich als zu stabil erwiesen. Dafür war der Knebel in ihrem Mund deutlich geschrumpft.
    Wenn sie nur nicht so erschöpft gewesen wäre!
    Es erschien ihr wie eine kleine Ewigkeit, bis sie endlich in der Lage war, die Halsmuskeln anzuspannen und die Zunge mit aller Kraft nach vorn zu drücken. Doch das nasse Stoffstück bildete immer noch eine unüberwindliche Barriere.
    Seit gestern war alles unverändert. Der Patron hatte wohl vor, sie hier oben verdursten und verhungern zu lassen.
    Marlein spürte, wie ein Restchen Wut in ihr aufwallte, für alles andere war sie viel zu schwach. Sie lehnte sich zurück, nicht an den Hocker mit seinem unnützen Nagel, der ihr nur falsche Hoffnungen gemacht hatte, sondern an den nächsten Balken.
    Jetzt erst entdeckte sie ein Stück entfernt auf dem schmutzigen Boden ein kleines flaches Kästchen, das sie im Dunklen übersehen hatte.
    Was sich wohl darin befinden mochte?
    Sie rutschte ein Stück zur Seite und versuchte, es mit den Füßen näher zu ziehen, gab jedoch schnell wieder auf.
    Was sollte sie damit schon anfangen?
    Etwas zu essen, geschweige denn zu trinken würde sie dar in gewiss nicht finden. Und selbst wenn: Mit diesem Knebel im Mund wäre beides ohnehin nutzlos.
    Sie schloss die Augen und versuchte, jenen Raum tief in sich zu erreichen, in dem sie manchmal in ihren Träumen Zuflucht suchte: Hell war er, freundlich, roch nach Apfel schnitzen und frischem Holz. Hier hatte sie immer eines Tages ankommen wollen, sobald die endlose Wanderschaft vorbei war.
    Ankommen – um niemals wieder fortzugehen.
    Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie schüttelte unge duldig den Kopf, um sie zu vertreiben. Da stutzte sie plötzlich.
    Seltsame Linien hatte sie schon gestern an den Wänden wahrgenommen, doch jetzt im Tageslicht sahen sie ganz anders aus.
    Die Mutter und sie waren vor einiger Zeit ein paar Wochen lang mit einem entsprungenen Mönch gewandert, der nachts auf den verwanzten Strohsäcken mit der Mutter nachgeholt hatte, was ihm in den Klosterjahren entgangen war.
    Marlein hatte ihn gemocht, weil er gut singen konnte und ihr das Lesen beibringen wollte. Doch er hatte sich eines Ta ges im Herbstnebel

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