Die geheime Braut
die Kleine doch niemals geflohen.
Ein Gedanke, der Griets Herz in Finsternis tauchte. So mutlos und zerschlagen fühlte sie sich auf einmal, dass sie sich am liebsten auf den Boden gelegt hätte, um nie mehr aufzustehen.
Isolde und Lore, die besorgt nach ihr schauten, fanden sie schließlich zusammengekauert vor der Wand. Gemeinsam halfen sie ihr wieder auf die Beine und hievten sie zurück ins Bett.
»Du wirst dir noch den Tod holen, wenn du weiter so unvernünftig bist«, sagte Lore, während sie Griet heißen Lindenblütentee einflößte. »Was soll dann aus uns werden? Die frommen Wittenberger werden uns wohl kaum als Gäste behandeln.«
»Aber die Kleine …«, sagte Griet stöhnend und wandte das Gesicht ab, weil das Schlucken allzu wehtat.
»… hat es faustdick hinter den Ohren, und das weißt du ganz genau! Die hat sieben Leben wie eine streunende Katze – vielleicht sogar mehr und bestimmt schon wieder einen Ofen gefunden, an dem sie sich wärmen kann. Du musst jetzt erst einmal an dich denken! Ruh dich aus! Und werd wieder gesund! Das bist du uns schuldig.«
Griet schloss die Augen und hielt den Mund, denn ihr Rachen war rau wie eine Feile, und jeder weitere Satz drohte über ihre Kräfte zu gehen. Das Haus mit all den Frauen stand unter ihrer Verantwortung. Sie durfte sich nicht aufgeben.
Wie aber sollte sie das ohne Unterstützung schaffen?
Warum war Rup jetzt nicht bei ihr und trug sie wie in ihren schönsten Träumen auf starken Armen in eine glückliche Zukunft?
Doch Rup gab es in ihrem Leben schon lange nicht mehr. Stattdessen war um sie herum nur noch Dunkelheit. Und Griet hatte Angst, daran zu ersticken.
*
»Dann sind wir uns also einig?« Als wäre er aus Versehen auf einem wimmelnden Ameisenhaufen gelandet, sprang Melanchthon von seinem Stuhl auf und lief um den Tisch, an dem die anderen Professoren saßen und schwitzten.
Schöneberg und Block nickten einhellig; Anatom Winsheim stieß ein halblautes »Ja« aus.
»Du, Martin?«, vergewisserte sich Melanchthon. »Von dir habe ich noch nichts Genaues gehört.«
»Ich schätze unseren Mathematiker Hunzinger als Lehren den und Forscher«, sagte Luther. »Das wisst Ihr alle. Allerdings habe ich auch niemals einen Hehl daraus gemacht, dass mir ein Geisteswissenschaftler als Rektor mehr liegen würde. Wit tenberg ist das Herz der Reformation. Aus allen Ländern Europas strömen Studenten zu uns, die sich aus exakt diesem Grund für unsere Universität entschieden haben. Sollte sich das nicht auch in der Person des Mannes widerspiegeln, der die Leucorea leitet?«
Einige der Anwesenden nickten zustimmend, andere wiederum schüttelten den Kopf.
»Was wiederum zugunsten von Pistor spräche«, wandte Winsheim ein.
»Pistor ist aus dem Rennen«, sagte Melanchthon unge wohnt scharf. »Jemanden, der heimlich Ablassbriefe und Reliquien hortet, können wir in dieser Position nicht gebrauchen. Habt Ihr vielleicht an seine fadenscheinigen Beteuerungen geglaubt – den Feind mit seinen eigenen Mitteln unschädlich machen? Ich nicht einen einzigen Augenblick.«
»Weiß er schon Bescheid?«, fragte Schöneberg. »Im Vorfeld haben wir ihm schließlich die allergrößten Hoffnungen gemacht.«
»Mich hat er vorgestern noch einmal darauf angesprochen«, sagte Block. »Unangenehme Situation. Ich wusste gar nicht, wie ich ihm auskommen sollte. Die Ungewissheit scheint ihm zuzusetzen. Er war blass und wirkte irgendwie … mitgenommen. Ich hasse es, wenn jemand mich derart in die Zange nimmt.«
»Pistor wird es ahnen, denke ich«, sagte Luther. »Schließlich hat keiner ihn zum Jahresumtrunk der Leucorea geladen. Ob wir diesen allerdings abhalten können, ist mehr als fraglich.« Seine Miene verschloss sich. »Mein Freund Cranach hat mir vom Verschwinden einer jungen Adeligen berichtet. Kurprinz Johann Friedrich hat ihn beauftragt, nach der Vermissten zu suchen, zusammen mit deren Verlobten, einem Edlen von Altenstein.«
»Ihr befürchtet einen neuen grausigen Fund?«, fragte Block erschrocken. »Und dann auch noch jemanden aus dem Schloss?«
»Dilgin von Thann«, bestätigte Luther. »Eine Hofdame der Kurprinzessin. Deren Mann scheint entschlossen, hart durch zugreifen. Seine Garde ist gerade dabei, alle Häuser Wittenbergs zu durchkämmen. Weh dem, bei dem sie gefunden wird …«
»Hoffentlich nicht bei Cranach selbst«, sagte Block. »Denn sein Geselle stand doch erst kürzlich beim Fund von Relins Leiche in ganz üblem Licht da.«
»Cranach
Weitere Kostenlose Bücher