Die geheime Braut
»Ich kann Euch gleich etwas anderes bringen lassen …«
»Bemüht Euch nicht!« Die grünliche Gesichtsfarbe stand im Gegensatz zu Pistors Worten.
Wie eine lebendige Leiche sieht er aus, dachte Susanna, die sich langsam wieder erhoben hatte.
Der Tod in Person.
Dann schaute sie an sich hinunter und erschrak. Das Tuch lag vor ihr auf dem Boden. Mitten auf ihrem Kleid prangten die hellen Flecken, als sei ihr soeben Milch aus den Brüsten gelaufen. Allen Blicken ausgeliefert fühlte sie sich, wie öffentlich an den Pranger gestellt. Am liebsten hätte sie die Hände vor der Brust gekreuzt, um sich zu schützen, oder wäre ganz schnell hinausgelaufen.
Stattdessen stand sie starr, mit gesenktem Kopf.
Pistor zupfte an seinem Kragen, als würde er plötzlich frieren.
»Mir muss da etwas in den Hals gekommen sein.« Er sprang auf. »Ich werde auf der Stelle den Bader aufsuchen, um nachsehen zu lassen, denn mit der Gesundheit ist nun mal nicht zu spaßen.« Er nickte knapp in die Runde. »Man sieht sich«, sagte er, schon halb an der Tür. »Und noch einmal Dank für die freundliche Aufnahme.«
Die anderen schauten sich fragend an, als er verschwunden war.
»Jetzt hast du ihn in die Flucht geschlagen, Martinus«, sagte Katharina schließlich. »Mit einem schmutzigen Hühnerbein. Keine schlechte Leistung!«
Keiner lachte.
»Ein seltsamer Kerl«, sagte Melanchthon. »Soll unbeweibt sein und ganz zurückgezogen unter Hunderten von Büchern leben. So heißt es jedenfalls.«
»Lass ihn ruhig kauzig sein oder meinethalben auch ein Sonderling – von Griechisch versteht er jede Menge«, sagte Luther. »Weit und breit wirst du kaum einen profunderen Ken ner der Antike finden. Recht viel mehr weiß ich allerdings auch nicht über ihn.«
»Hast du ihn nicht nach Wittenberg geholt?«, fragte Melanchthon.
»Nein, das war Rektor Gunckel. Und dem wurde er offenbar von verschiedenen Fürsprechern wärmstens empfohlen.«
Empörtes Weinen ertönte von oben, in das Hansis schrilles Plärren einfiel.
»Ich sehe gleich nach ihnen«, sagte Susanna, heilfroh, sich endlich wieder unsichtbar machen zu können. »Dann könnt Ihr ungestört weiterspeisen.«
*
Susannas Kleid würde nicht mehr ganz sauber werden, so gro ße Mühe sich Bini auch damit gab. Wozu hatte sie es eigentlich einen ganzen Tag in Lauge eingeweicht und dann hierher an den Waschplatz geschleppt?
Der minderwertige Stoff verzieh nichts und schien fast stolz darauf, seine Flecken zu behalten.
Bini strich sich die nassen Haare aus der Stirn und hörte für einen Augenblick mit dem wütenden Schlagen auf. Jetzt erst spürte sie, wie ihr der Schweiß den Körper hinunterrann, und sie hätte sich am liebsten in die Fluten gestürzt, um sich abzukühlen.
Natürlich tat sie es nicht.
Sie konnte nicht schwimmen, und allein der Gedanke, bis über die Hüften in die Elbe oder irgendein anderes Gewässer zu tauchen, erschreckte sie heftig.
Mit ihrem eigenen Gewand sah es nicht viel besser aus, obwohl dies eine Spur robuster schien. Trotzdem bedeutete das nichts anderes, als dass es ihr binnen Kurzem am Körper kleben würde, jetzt, da die wärmeren Tage bevorstanden.
Mit einem Mal überfiel sie die Sehnsucht nach Sonnefeld so heftig, dass sie nach Atem ringen musste. Hinter den kühlen alten Mauern waren die Jahreszeiten gut auszuhalten gewesen. Ihr Habit hatte aus solidem Leinen oder gekämmter Wolle bestanden, kühl im Sommer, wärmend im Winter. Nichts, was einen eingeengt oder etwas zur Schau gestellt hätte, sondern Kleidung, die den Körper angemessen bedeckte und verhüllte.
In Susannas Gegenwart hatte sie gelernt, solche Gefühle zu unterdrücken, doch nun, nachdem sie allein war mit dem verdorbenen Wäschestück, ließ sie den Tränen freien Lauf.
Wie schwer es war, keine Nonne mehr zu sein – nicht beschützt, behütet, abgeschirmt von den Gefahren dieser Welt!
Der Storch, der ein Stück entfernt nach Fröschen suchte, hob den Schnabel und sah Bini kurz an, um sich gleich wieder der Nahrungssuche zu widmen. Für einen Augenblick beneidete sie ihn ob seiner gelassenen Sorglosigkeit.
Nicht mehr denken zu müssen.
Nicht ständig diese Anspannung in sich zu spüren.
Endlich zu wissen, wohin man gehörte.
Im Schwarzen Kloster waren sie und Susanna lediglich geduldet, darüber machte sie sich keine Illusionen. Einen Monat, hatte die Lutherin gesagt, und der würde bald vorüber sein.
Und dann?
Susanna konnte nicht mehr singen. Damit hatten sie ihre
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