Die geheime Braut
es mir tut.«
»Weshalb?« Der Trotz war aus Marleins Zügen verschwunden. Jetzt wirkte sie plötzlich besorgt. »Weil du jetzt böse auf mich bist?«
Was sollte sie ihr darauf antworten?
Dass ihre Herrschaft im Frauenhaus nur vordergründig war, weil jemand anders die Zügel hielt, von dem sie lediglich wusste, wie unberechenbar er sein konnte?
Gestern zum Beispiel hatte der Patron sie rücksichtslos aus dem Schlaf gerissen, durchnässt und außer Atem, als wäre er gerannt. Woher er in diesem Zustand mitten in der Nacht kam, wollte sie lieber nicht wissen, und natürlich hatte er auch keinerlei Anstalten gemacht, es ihr zu verraten.
Wo mochte sein Haus sein?
Und bewohnte er es allein, wie sie mutmaßte?
Er hatte ungeduldig nach Wein verlangt und nach ihrer Gesellschaft, obwohl sie nach dem langen Abend so müde gewesen war, dass ihr die Augen immer wieder zuzufallen drohten. Erst als er Marlein erwähnte, war sie plötzlich hellwach geworden.
»Und unser Engel?«, lautete seine Frage. »Ist sie inzwischen auf einem guten Weg?«
Gestern noch hatte sie beruhigend genickt – doch was würde der Patron sagen, wenn er erführe, was sich soeben zugetragen hatte?
»Du darfst mich nicht rauswerfen.« Jetzt klang Marlein bittend. »Ich will nicht wie diese andere in der Elbe landen – als Leiche, mit einem Strick um den Hals!«
Woher hatte sie das?
Irgendeine der Frauen musste ihr davon erzählt haben. Unter den Hübschlerinnen machte die Nachricht vom Mord an Margaretha Relin offenbar bereits die Runde. Die Angst ging um in Wittenberg und hatte auch das Haus am Elstertor erreicht.
»Ich werfe dich keineswegs hinaus. Ich denke nur, du könntest vielleicht eine andere Arbeit finden«, sagte Griet. »Eine, die ehrbarer ist. Und dich trotzdem ernährt. Willst du es nicht wenigstens versuchen?«
»Und das sagst ausgerechnet du?« Marlein bückte sich nach den weißen Kleidern, hob sie auf und versuchte, sie halbwegs wieder glatt zu streichen. »Und was soll ich deiner Ansicht nach tun – mich als Lumpenmagd verdingen? Böden wischen? Wäsche flicken? Suppe kochen? Du weißt sehr gut, wie mühsam das alles ist und wie wenig es einbringt. Nein, ich bin nur einmal jung – und zwar jetzt. Wenn ich diese Fetzen also unbedingt anziehen soll, dann werde ich es eben tun. Freier bekomme ich auch in ihnen, wirst schon sehen. Und zwar zur Genüge!« Sie drehte ihr das Hinterteil zu, als sei die Angelegenheit damit für sie beendet.
Griet ging zurück in ihr Zimmer.
Unter ihrem Bett hielt sie in einer Kiste den Schlüsselbund versteckt, den sie im Keller gefunden hatte. Etwas zwang sie, ihn unter all den Bändern und Stoffresten herauszuziehen. Natürlich wäre es klug gewesen, ihn auf der Stelle nach unten zu tragen und genau dort wieder abzulegen, wo sie ihn entdeckt hatte.
Aber irgendetwas, was sie nicht benennen konnte, hinderte sie daran.
Und so vergrub sie die Schlüssel wieder unter all dem billigen Tand und schob die Kiste mit einem tiefen Seufzer unter die Bettstatt.
*
Das Portal der Stadtkirche knarzte, als eine Gestalt in dunklem Umhang es aufstieß und eintrat, den Kopf von einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze verhüllt.
Jetzt kam es auf jeden Augenblick an.
War es zu früh – und die Männer, die während der Nacht die Totenwache gehalten hatten, noch anwesend?
Oder schon zu spät – und die Messe würde gleich be ginnen?
Doch noch schwiegen die Glocken, was der Mann für ein gutes Zeichen hielt. Und in St. Marien war keine Menschenseele zu sehen.
Zügig schritt die Gestalt auf den schlichten Buchensarg zu, der zwischen den hölzernen Bänken stand, von vier großen weißen Kerzen flankiert, die in ihren schmiedeeisernen Leuch tern nahezu heruntergebrannt waren.
Der Deckel war geschlossen, womit zu rechnen gewesen war.
Für diesen besonderen Abschied jedoch musste der Sarg ge öffnet werden.
Wenn die Arme doch nur ein wenig länger gewesen wären!
Er mühte sich ab, bis er den Sargdeckel einigermaßen zu greifen bekam, und schob ihn zur Seite. Dann jedoch rutschte dieser ihm aus den Händen und fiel scheppernd auf den Boden.
Er ging in Deckung, zur Flucht bereit.
Doch der Lärm, so laut er auch war, hatte niemanden herbeigerufen.
Sie hatten die Tote in ein grobes Hemd gehüllt, was der Mann im dunklen Umhang zutiefst bedauerte. Wozu hatte er sich die ganze Mühe mit dem Totenkleid gemacht?
Margarethas Gesicht war leicht bläulich und etwas auf gedunsen. Leiser Ekel stieg in ihm empor,
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