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Die geheime Braut

Die geheime Braut

Titel: Die geheime Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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»Unbezahlbare Kostbarkeiten, von denen andere nur träumen können. Hier – Titus Livius, Cornelius Nepos, Tacitus, Fabius Rusticus und Cicero!« Er lief ins nächste Zimmer. »Und dort – Kallimachos, Aristoteles, Zenon von Elea, Pindar, Theokrit, Äsop, Philetas, Epikur, Plutarch, zum Großteil ins Lateinische übertragen …« Er schien nach Luft zu ringen. »Ein ganzes Jahrzehnt meines irdischen Daseins würde ich auf der Stelle für diesen herrlichen Besitz geben!«
    »Ja, es hat sich in der Tat so manches angesammelt«, sagte Pistor bescheiden. »Bücher scheinen mich zu finden, ebenso wie ich sie, so kommt es mir bisweilen vor, und solch verlockenden Angeboten vermag ich dann nicht zu widerstehen. Mein geheimes Laster, wenn Ihr so wollt.« Er wirkte aufgeräumt, fast heiter. »Obwohl – so geheim ist es ja jetzt gar nicht mehr.«
    »Und was befindet sich in den großen Kisten?«, wollte Anatom Winsheim wissen, dessen Augen immer größer wurden.
    »Pergamente, Handschriften, Flugblätter«, erwiderte Pistor. »Die Schwarze Kunst hat vieles verändert, was freilich noch lange nicht heißt, dass bereits alles gedruckt vorliegt. So manches gilt es, weiterhin in der guten alten Art und Weise zu sammeln und aufzubewahren. Nennt mich ruhig einen Hüter der Vergangenheit, wenn Ihr denn so wollt!«
    Die Professoren schwiegen beeindruckt. Nur Luther runzelte die Stirn.
    »Eine Bibel allerdings sehe ich nirgendwo«, sagte er. »Dabei wäre es doch in Wittenberg, wo unsere Druckerei steht, besonders einfach, das Buch der Bücher zu erwerben.«
    »Eine Bibel wollt Ihr sehen, werter Luther? Bin gleich wieder zurück!« Pistor lief hinaus auf den Gang, wo er eine weitere Tür aufschloss. Nach Kurzem kehrte er mit einem dicken Band in der Hand zurück.
    »Die Vulgata des Hieronymus«, sagte Luther enttäuscht, als er das Werk aufschlug. »Ihr scheint tatsächlich am Alten zu hängen.«
    »Ist Hieronymus’ Werk nicht die Grundlage, auf der das Neue aufbaut?«, fragte Pistor. »Jahrhundertelang galt sein Latein als Maßstab und Stütze. Ohne ihn wären Altes und Neues Testament vielen Menschen fremd geblieben.«
    »Wer versteht schon Latein?«, rief Luther streitlustig. »Mönche, Pfaffen und eine Handvoll Gelehrter und Professoren. Aber das Volk soll erfahren, wissen und befolgen, was in der Heiligen Schrift steht. Das Wort Gottes ist für alle da – für jedes Seiner Kinder, egal ob Bürger, Bauer oder Magd. Aus diesem Grund habe ich die Übersetzung ins Deutsche besorgt. Und andere Reformatoren tun es mir nach in der jeweiligen Landessprache. Bald wird jeder Mensch auf dieser schönen Welt seinen Weg zu Gott finden können.«
    »Wer von den Bauern oder Mägden kann schon lesen?«, erwiderte Pistor ruhig. »Und besitzt zudem das nötige Geld, um sich solch ein teures Druckwerk zu leisten? Euer Ansinnen ist gut gemeint und wünschenswert. Aber wie sieht es in der Realität aus?«
    »Die Leute verstehen immerhin, was im Gottesdienst gesagt wird, anstatt auswendig Gelerntes vor sich hinzulallen, als handelte es sich um fremde Zaubersprüche. Und sie können den Predigten folgen. Das ist mehr als ein Anfang.«
    Luther war rot angelaufen, was Melanchthon besorgt beobachtete.
    »Bleib ruhig, Martin!«, sagte er leise, während sie Seite an Seite in das Speisezimmer gingen. »Du weißt, was geschehen kann, wenn deine schwarze Galle zu heftig fließt. Du sollst nicht wieder siech darniederliegen wie im Herbst. Lass Pistor reden! Und hör ihm genau zu! Schließlich sind wir ja hier zusammengekommen, um mehr über ihn zu erfahren.«
    Ein schmuckloser Raum. Der Tisch aus wurmstichigem Holz. Irdenes Geschirr. Schlichte Becher. Nur die dicken weißen Wachskerzen, die in vier schmiedeeisernen Leuchtern brann ten, zeugten von Wohlstand.
    »Wie früher im Kloster«, sagte Luther mit gedämpfter Stimme zu Melanchthon. »Fehlt nur noch der Bruder, der aus der Bibel vorliest, während wir anderen schweigend essen. Da ist mir das lebhafte Treiben am Mittagstisch bei uns zu Hause dagegen viel lieber.«
    »Das wird sich ändern, sobald du nur den ersten Bissen im Mund hast«, flüsterte Melanchthon zurück. »Man erzählt sich von den erlesensten Köstlichkeiten auf Pistors Tafel.«
    Kalbsnierchen auf geröstetem Brot. Pilzsuppe. Wels in Salz teig gebacken. Gefüllte Eier. Gehacktes Lammfleisch. Wildpret pastete. Gebratenes Huhn mit glasierten Möhren. Pflaumenmus mit Eierschnee.
    Die Professoren schlemmten und genossen.
    Zuerst floss das

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