Die geheime Mission des Nostradamus
weißen Rüsche der Nachtmütze hervor. Das war die kleine Valois-Prinzessin Elisabeth. Neben ihr stand ihre größere und ältere Freundin, mit der sie ein Zimmer und ein großes Himmelbett teilte. Das unverkennbar tizianrote Haar lag ihr in zwei schweren Zöpfen auf den Schultern, ihr Porzellanteint war rosig vor Erregung über ihre kühne Unternehmung. Die Mädchen-Königin von Schottland, die seit Kleinkindzeiten keinen Fuß mehr auf schottischen Boden gesetzt hatte. Die beiden starrten die Instrumente und Karten an, die Nostradamus auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Geheimnis und Magie, das war es, was sie sehen wollten. Sonderbare Gefäße, in denen vielleicht Kobolde ihr Unwesen trieben.
Nostradamus merkte, daß er ihren Erwartungen nicht ganz gerecht wurde.
»Maistre Nostredame, wir sind gekommen, weil wir mehr über unsere Zukunft wissen wollen«, sagte das dunkeläugige kleine Mädchen beherzt. Nostradamus schob die Karte beiseite, an der er gerade arbeitete, damit nicht eine von ihnen einen Blick auf die Zahlen erhaschte, die sie womöglich entschlüsseln könnte. Darauf stand nämlich, was die Sterne für das rothaarige Mädchen voraussagten: Witwenschaft, Verbannung, Verrat, Einkerkerung und Hinrichtung. Das alles entfaltete sich im Schatten ihrer ehrgeizigen Onkel, war Erbe ihres Blutes – so wie Krankheit das Erbe des dunkelhaarigen kleinen Mädchens mit dem Gnomengesicht war.
»Ja, wir wollen alles über unser Leben wissen, wenn wir Königinnen sind, welche Paläste wir haben werden.«
»Und welche Juwelen; ob wir prächtige bekommen?« Nostradamus seufzte, und sie faßten das als Ungeduld auf.
»Wir werden Euch gut entlohnen, wenn wir groß sind«, sagte das rothaarige Mädchen in ungemein würdevollem und herablassendem Ton, so als ahmte es jemanden nach.
»Wir wären auch nicht so spät gekommen, wenn man uns nicht gesagt hätte, daß Ihr bald abreist, vielleicht schon morgen«, setzte die Dunkelhaarige hinzu.
»Das macht nichts«, antwortete der alte Mann. »Aber bringt mir nicht die anderen auf Gedanken, ja? Ich weissage Euch die Zukunft aus der Hand. Stellt Euch hierher, neben die Kerze, ich will mir Eure zuerst ansehen.«
»Nein, erst müßt Ihr Marias ansehen, die ist als Königin geboren, und Vater sagt, sie kommt immer zuerst, auch an der Tür.«
»Na schön. Hmm. Hmm. Ja. Ihr werdet Königin in zwei Königreichen sein.«
»In zweien, nicht in dreien? Ich bin Königin von Schottland, heirate Frankreich und erbe England.«
»Nein, nicht drei. Die Zeichen besagen zwei. Aber aus Euch wird ein Stammbaum von Königen hervorgehen – und Ihr werdet die Leidenschaft der Männer erregen, wohin Ihr den Fuß setzt.«
»Oh«, seufzte die Mädchen-Königin, »das wird wunderbar.« Nicht wenn du wüßtest, wie selbstsüchtig und haßerfüllt einige dieser Leidenschaften sein werden, dachte der alte Mann. Verflucht sei Menander, der mir jede Weissagung zur Qual macht. Wie er gelacht hat, als ich meinen Wunsch geäußert habe, und wie schmerzlich Wissen doch ist.
»Jetzt bin ich an der Reihe.« Die dunkelhaarige Elfjährige streckte ihm ihre kleine Handfläche hin.
»Ah, das sind interessante Linien«, sagte der alte Mann und tat so, als müßte er erst nachdenken. »Ihr werdet eine sehr, sehr große Königin sein, mit Schränken voll prächtiger Gewänder, und Ihr habt die wundervollsten Juwelen und mehr, als Ihr in einem Leben überhaupt tragen könnt… die Reichtümer eines großen Königreichs.« Ihre Karte lag zusammengerollt in der Schreibtischschublade. Er hatte vor, sie hinreichend zu überarbeiten, um ihre Mutter mit der geschönten Version zufriedenzustellen. Darin erblickte er die düsteren, üppigen Paläste des spanischen Königs, Vermählung mit einem lieblosen alten Mann, die frostigen, durchdringenden Blicke der Rivalinnen. Und dann jung, ach so jung, Gift.
»Und werde ich auch Mutter von Königen?«
»Von Töchtern, liebes Kind, aber das werdet Ihr nicht bedauern. Euer Volk wird Euch so sehr lieben, daß es Euch die Königin des Friedens und des Wohlstands nennen wird.«
»Steht da noch mehr?« fragte Elisabeth, die sehr klug und der Liebling ihrer Mutter war, denn sie hatte gemerkt, daß der alte Mann etwas sonderbar dreinschaute.
»Aber nein, mehr nicht«, sagte der alte Prophet. »Das ist alles, was die Handlinien aussagen, außer daß Ihr eine sehr kluge junge Dame seid und brav lernt.«
»Aber das weiß ich schon.«
»Genau, und darum muß ich es Euch nicht
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