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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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will. Keineswegs. Mit diesem Schreiben schicke ich Euch zwei Briefchen, und so Ihr diese mit Verlaub abliefert, bin ich mir sicher, daß man Euch das Geld unverzüglich auszahlen wird.
    Auszug aus einem Brief von Nostradamus
    an Jean Morel
    Fonds latin, Nr. 8589, Französische Nationalbibliothek

    »Noch ein Kissen, Léon, ehe ich an der Prunksucht des Kardinals sterbe.« Nach seiner Rückkehr von Blois hatte Nostradamus auf dem überwältigend großen geschnitzten Holzsessel, den man ihm im Zimmer der palastartigen Behausung des Kardinals zur Verfügung gestellt hatte und dem jeglicher Komfort fehlte, Platz genommen. Der Aufenthalt als Hausgast hatte für den alten Doktor seinen Reiz verloren; Essen und Gesellschaft waren hervorragend, doch die offenen, hohen, steinernen Räume, die so kühl und zugig waren, der ständige Ärger mit fremden Dienstboten, die mit viel Fleiß geschnitzten Gesichter der grotesken Figuren und wilden Tiere, die ihn von zahlreichen bösartig-scharfkantigen Möbelstücken anglotzten, erweckten Sehnsucht nach dem eigenen trauten Heim, seiner gutgelaunten Frau und dem fröhlichen Lärm der eigenen Kinder. Und dann waren da noch seine Bücher, von denen er sich nur ungern trennte. Vor allem ärgerten ihn die redseligen Ignoranten, deren Honorare so mickrig waren, daß er dem vertrauensseligen Maistre Morel noch nicht einmal zurückzahlen konnte, was der ihm geliehen hatte. »Laß keine Menschenseele herein; ich möchte das Horoskop des Dauphins fertigstellen.«
    »Ich dachte, das hättet Ihr längst getan«, sagte Léon mit einem Blick auf den Berg beschrifteten Papiers, der auf einem von Löwentatzen getragenen Tisch lag, an dem der alte Prophet schrieb.
    »Stimmt. Das hier ist eine neue, verbesserte Version. Ich brauche eine Entlohnung von der Königin für unsere Rückreise, und es ist nicht einzusehen, warum ich mir ihre Dankbarkeit verscherzen sollte.«
    »Kurzum, Ihr streicht die tödliche Krankheit und ersetzt sie durch große Gefahren…«
    »Léon, du nimmst dir aufgrund deiner langen Dienste zuviel heraus. Der Dauphin wird der größte König Europas, wenn er die Zeit der großen Gefahren überstanden hat.«
    »Genau.« Léon schob seinem Herrn ein weiteres Kissen in den Rücken und rückte den Schemel für seinen Gichtfuß zurecht. »Möchtet Ihr das Abendessen nach oben gebracht haben?«
    »Natürlich. Aber keine Sahnesauce mehr. Die bringt meine Verdauung durcheinander.« Als Léon ging, tauchte Nostradamus seine Feder wieder ins Tintenfaß und schrieb: »In seinem siebzehnten Jahr muß der Sire Dauphin die Jagd völlig aufgeben, will er eine Zeit großer Gefahren überstehen…« Wie gut, daß Léon nicht lesen kann, dachte Nostradamus, sonst würde er mich mit seinem Kichern aus dem Konzept bringen. Wir wissen beide nur zu gut, daß der Dauphin die Jagd niemals aufgeben wird.
    Zuerst ein Rascheln, dann schnaubte jemand belustigt hinter seinem Rücken. Ohne den Kopf zu wenden, sagte Nostradamus: »Anael? Du solltest dich schämen. Spionierst du etwa? Ich habe dich nicht gerufen.«
    »Michel, ich habe dir doch gesagt, ich gehe, wohin ich will.«
    »Doktor Nostradamus, wenn ich bitten darf.«
    »Du rufst mich bei meinem Vornamen, also rufe ich dich auch bei deinem.«
    »Dann hast du also noch andere Namen?«
    »Natürlich. Dutzende. Und auch Titel. Ich bin nur nicht so eitel wie manch einer unter euch Menschen.«
    »Krittelei wie immer. Man kann nie eine Arbeit zu Ende bringen, ohne daß jemand lästige Ratschläge erteilt…«
    »Oder beim Anblick des großen Propheten feixt, der für Geld ein Horoskop schönt, damit er die Stadt verlassen kann.«
    »Hebe dich hinweg, du Quälgeist, und komme erst wieder, wenn ich dich rufe.«
    »Oh, ich denke nicht im Traum daran. Du hast dir den Geist der Wahrsagung gewünscht, und den hast du bekommen, nämlich mich, ob dir das nun paßt oder nicht.« Anael nickte spöttisch und machte eine schwungvolle Verbeugung wie ein Edelmann, wenn er vorgestellt wird. »Außerdem habe ich ein wenig ennui mit meinem ewigen Leben verspürt, und da gleich etwas Lustiges geschehen wird, schaue ich vorbei.«
    Nostradamus, der es beflissen vermieden hatte, den Engel anzusehen – was diesem zusätzlich Genugtuung bereitet hätte –, blickte jetzt von seinen Papieren auf und merkte, daß Léon die Tür offengelassen hatte. Auf der Schwelle stand die hochgewachsene, knochige Gestalt der eingebildeten Dichterin und hielt ein mit einem ausgefallenen Band

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