Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
Vom Netzwerk:
heller als der Nachthimmel. Eine einzige Kerze erleuchtete das komplexe Diagramm eines Horoskops unter Nostradamus' Hand. Am Rand in der Nähe des Zeichens für Mars schrieb er eine Reihe Notizen nieder, dann legte er seufzend die Feder beiseite.
    »Du glaubst, du könntest die Geschichte ändern?« Anael grinste und plusterte die Federn seiner rabenschwarzen Flügel. »Du? Ein sterblicher alter Mann? Für das Wissen, daß du sogleich von einer der Parteien ermordet würdest, brauchst du keinen Zauberstab.«
    »Willst du damit sagen, daß mein Entschluß nicht durch und durch moralisch ist?« Nostradamus war zu lange aufgeblieben, hatte alle Horoskope fertiggestellt, und als er sich aus der Küche sein Essen holen lassen wollte, schickte man ihm Nachricht, es sei nichts mehr da und das Feuer sei gelöscht. Folglich hörte er sich ziemlich gereizt an.
    »Ach, sei doch nicht verstimmt. Die Sache ist lediglich ein Wirrwarr – wie alles, was ihr Menschen macht.« Anael lümmelte sich im Fenster, baumelte mit den übergeschlagenen Beinen und sah so selbstgefällig aus, daß er den alten Propheten noch mehr reizte.
    »Nun, wenn du so vollkommen bist, warum sorgst du nicht dafür, daß die Geschichte einen besseren Lauf nimmt?«
    »Ist nicht meine Sache. Ich kümmere mich nur um den Schrank. Außerdem ist es einerlei, was irgend jemand von uns zu diesem Zeitpunkt tut. Eine große Sache wie ein Religions- und Bürgerkrieg ist wie Wasser, das bergab läuft. Es läßt sich nicht aufhalten; es bahnt sich immer einen Weg, also läßt man lieber die Finger davon und macht einen Bogen darum.«
    »Hat es einen Zeitpunkt gegeben, zu dem man noch hätte Einhalt gebieten können?« Nichts interessierte Nostradamus mehr als ein ernsthafter philosophischer Diskurs. Diese Aussicht stimmte ihn gleich heiterer.
    »Du meinst, indem man jemanden wie Monsieur Calvin ermordet hätte, der nicht im entferntesten so anziehend ist wie die kleine Guise?«
    »Nun… Also das habe ich so nicht gesagt…«
    »Oder vielleicht möchtest du noch weiter zurückgehen, zu Monsieur Luther beispielsweise? Du kannst mir glauben, früher oder später hätte diese alte verderbte Institution selbst ihren Ruin bewirkt…«
    »Und was ist mit der Verderbtheit? Hätte man der Einhalt gebieten können? Was ist mit dem Erfinder des Generalablasses?« Anael lachte, und Nostradamus zog die wilden Brauen zusammen. Schließlich war er in einem Alter, in dem man ihn ernster nehmen durfte. Zuweilen vergaß er, daß er für einen Unsterblichen wie Anael gerade erst geboren war.
    »Glaubst du etwa, nur ein einziger Mensch wäre auf diese brillante Idee gekommen? Der Same war gesät. Wenn die Zeit reif ist für die Verderbtheit, dann ist sie reif.«
    »Ja, ja, wie Wasser, das bergab läuft, wie du bereits gesagt hast«, meinte Nostradamus, denn Anaels Überheblichkeit reizte ihn.
    »Und außerdem, bedenke, wieviel Kunst und Schönheit mit diesen Ablaßbriefen gekauft worden ist. Wäre die Welt ohne sie besser dran? Die Rose ist am schönsten kurz vor dem Verblühen. Nun, das Geld der Arglosen und Leichtgläubigen ging über an die Verschlagenen und Gerissenen: Aber kann man deshalb behaupten, es war nicht richtig?«
    »Anael, du bist das amoralischste Geschöpf, das mir je begegnet ist…«
    »Erwartest du etwa, daß Geschichte moralisch ist? Michel, ich hätte nie gedacht, daß deine Tiefen so viel Seichtheit verbergen…« Es klopfte schüchtern an die Tür, und schon war Anaels anmutige Gestalt in die dunkle Ecke gehuscht, die nicht von Nostradamus' Kerze erhellt wurde.
    »Herein«, sagte der Prophet in der Hoffnung, es wäre doch noch eine bescheidene Mahlzeit.
    Zwei kleine Mädchen in Nachthemd und Nachtmütze, fest in dicke robes de chambre aus Pelz gehüllt, standen auf der Schwelle, hinter ihnen ihre Gouvernante, Madame de Humières, das graue Haar unter der Nachtmütze zum Zopf geflochten. Begleitet wurden sie von vier stämmigen bewaffneten Wachposten, die sich im Hintergrund aufgebaut hatten. Eine Konspiration, dachte Nostradamus. Sie dürften gar nicht mehr auf sein, ganz zu schweigen hier, aber dennoch war er gerührt. Er zupfte und zog sein Gewand glatt und versuchte, etwas Ordnung auf seinem Tisch zu schaffen. Schließlich war er das Ziel eines heimlichen, nächtlichen Kinderabenteuers und hatte seiner Rolle gerecht zu werden.
    Das jüngere der kleinen Mädchen hatte die großen braunen Augen und das fliehende Kinn seiner Mutter. Dunkle Locken lugten unter der

Weitere Kostenlose Bücher