Die geheime Mission des Nostradamus
nämlich sehr verschuldet, und da willigte er ein, daß Tantchen mich adoptierte, wenn sie seine Schulden bezahlte. Meint Ihr nicht auch, ein wahrer Vater hätte ›Niemals‹ gesagt oder mich vielleicht nur für ein Weilchen verborgt? Es ist alles so furchtbar – und als ich zu dieser gräßlichen Mumie sagte, daß der große Nostradamus mir eine bedeutende Zukunft prophezeit, da meinte er, Ihr wärt ein Quacksalber…«
»Das reicht!« sagte Nostradamus und sprang so wütend auf, daß er seinen wehen Fuß ganz vergaß. »Bei meiner Ehre, ich werde dafür sorgen, daß dieses elendige Stück Abfall im Kasten vernichtet wird, und wenn es das letzte ist, was ich auf dieser Erde tue!« Er hieb mit der Faust auf den Tisch, daß der Deckel des Tintenfasses klapperte. »Faßt Euch ein Herz, Demoiselle! Glaubt Ihr etwa, ich kenne mich so wenig mit Menschen aus, als daß sich bewahrheiten sollte, was er Euch einredet? Dieses böse, hinterhältige Ding nimmt sich ein Körnchen Wahrheit und entstellt sie, bis es große Flecken sind. Er bearbeitet Euren Willen, und er hat eintausend Jahre Zeit gehabt, das zu lernen! Seht Ihr denn nicht, was er will? In die Verzweiflung getrieben, nehmt Ihr Euch das Leben, dann hat er Eure Seele, ohne daß er sich überhaupt für die Erfüllung eines Wunsches von Euch anstrengen mußte. Für ihn ist das nichts weiter als ein neues Spiel. Quacksalber, ha! Ich werde diesen abscheulichen Menander in den Staub treten!« Der alte Prophet war so wütend, daß die Adern an seinem Hals schwollen und ihm die Haare zu Berge standen, und dabei merkte er überhaupt nicht, daß Anael triumphierend von einem Ohr zum anderen lächelte.
An diesem Morgen schreckte Nicolas Montvert aus dem Traum hoch, sein Vater stünde an seinem Bett, belehrte ihn über die Tugenden des Frühaufstehens, über verschwenderisches Kerzenbrennen bis nach Mitternacht, über die Ausgaben für Erziehung und Reisen, mit denen er ihn ständig überfordert hätte, über sein eigenes vorgerücktes Alter und Nicolas' Mangel an Verantwortungsgefühl, und im Traum wollte Nicolas gerade antworten: ›Aber ich will nicht Bankier werden‹, als er die Augen aufschlug und seinen Vater in seinem dunklen Seidengewand, mit Goldkette und flachem Hut und langem Bart erblickte. Er hörte ihn sagen: »… schamlose Verschwendung – dein Großvater dreht sich im Grabe um… deine Mutter weint sich die Augen aus. Sogar die Engel weinen. Müßiggang ist eine der sieben Todsünden…«
»Uff, ach«, seufzte Nicolas, der sich völlig in seinen Laken verfangen hatte.
»… und tut so, als ob er schläft, das ist eine Beleidigung! Wie viele Lasten muß ich alter Mann denn noch tragen? Bald liege ich im Grab, und es wird deine Schuld sein, du undankbarer…«
»Ich bin wach, ich bin wach.« Nicolas reckte sich. Das Haar stand ihm stachlig zu Berge, und die vergangene, kurze Nacht hatte dunkle Ringe unter seinen Augen hinterlassen.
»Ich will, daß du die Bücher mit mir durchsiehst, denn heute nachmittag nehme ich dich zum Oberbuchhalter der Königin mit, du hast ja keine Ahnung, wie lange ich auf diesen Termin gewartet habe; du solltest für solch eine Gelegenheit dankbar sein…«
»Bin ich auch, Vater, bin ich auch. Ehrenwort, ich bin da. Um welche Uhrzeit?«
»Und wohin willst du jetzt, da du dich so eilig anziehst?«
»Zur Messe, Vater. Ich… letztens verspüre ich ein Bedürfnis nach vollkommenerer, tieferer Andacht…«
»Messe am Wochentag, aber nicht am Sonntag? Ach, ich bin ein törichter alter Mann, daß ich schon wieder auf dich hereinfalle. Geh, geh. Lieber Gott, lieber Gott, wie kommt es nur, daß in einer Familie ein Kind voller Tugend ist und das andere Sünden sammelt wie der Hund Flöhe?«
Schließlich ist das hier auch eine Art von Andacht, sagte sich Nicolas, während er in die engen Gassen des Marais eintauchte, in der Rue St. Antoine wieder zum Vorschein kam und sich fast mühelos vor der Schwelle des Hauses in der Rue de la Cerisaie einfand. Diese Schwelle ist der Altar der Venus. Jeden Tag berührt sie Sibilles schöner Fuß. Und heute – heute wird sich das Warten auszahlen. Ich finde heraus, wer der üble Spanier ist, und dann, ja, dann beleidige ich ihn und zwinge ihn, mich zu fordern…
Genau in diesem Augenblick ging die Tür auf, und sein Herz machte einen Satz, als er sie erblickte, sie ganz allein, sie ohne die Sänfte, ohne die Duena, ohne den riesigen, sabbernden Hund, die Lakaien. Zu Fuß, im schlichten,
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