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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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viel Leid geschickt«, hörte sie ihre Mutter sagen. »Er hat mir meine kleinen Zwillinge genommen, meinen Vater und meinen Bruder. Aber das hat er mir tausendfach vergolten, indem er mir zum Trost dieses gebenedeite Kind geschenkt hat.« Die Stimmen verklangen auf der Diele, und Clarette wurde warm ums Herz. Komisch, dachte sie, in Nicolas' Kammer ist es so ruhig geworden. Sie würde ihm ein Gebet durch die Klappe schicken, durch die man ihm auch sein Essen reichte. Schon rechnete sie mit den schlimmsten Beschimpfungen seitens ihres Bruders. Doch kein Knurren und Murren drang an ihr Ohr. Und als sie ins Zimmer spähte, erblickte sie keinen eingesperrten Tiger, sondern ein ungemachtes Bett, ein zerbrochenes Fenster und das Ende eines Lakens, das an den Bettpfosten gebunden war.
    Ihr Geschrei rief die Familie zusammen, und in dem allgemeinen Wirrwarr und Händeringen hörte sie wie im Traum die Stimme ihres Vaters, der den Befehl erteilte, das Zimmer aufzusperren, und den Krach, mit dem die Verriegelung aufgestemmt wurde. Alle miteinander, Vater, Dienerschaft, Mutter, Kinderfrau und Schwester stürzten ins Zimmer.
    »Mein Junge ist fort. In seinen Untergang!« rief die Mutter, einer Ohnmacht nahe.
    »Durchs Fenster hinaus«, ergänzte Bernardo und musterte das Seil aus Laken und alten Kleidern, »und Schwert und Dolch sind auch nicht da.«
    »Verflucht!« schrie Nicolas' Vater, »ich habe nicht gewußt, daß ich die mit ihm eingeschlossen hatte… Warum habe ich nicht zuerst nachgeschaut, ehe ich die Tür vernageln ließ?«
    »Meine Schuld«, rief Clarette, verdrehte die Augen und wurde noch bleicher als sonst, aber in dem allgemeinen Tumult fiel das niemandem auf. Wie ärgerlich. Und wie üblich drehte sich wieder einmal alles um Nicolas. Es war ein Fluch, die Jüngere und noch dazu ein Mädchen zu sein. »Ich will zur Heiligen Jungfrau beten«, sagte sie ein wenig lauter, doch niemand hörte es.
    Ihre Mutter weinte vor sich hin: »Mein Junge, mein Junge, tot!«
    Ihr Vater fluchte schrecklich, und selbst die Diener waren so besorgt um die beiden, daß sie der blassen jungen Frau in der Ecke keine Aufmerksamkeit schenkten. Während alle das Laken ansahen, das um den Bettpfosten geschlungen war, setzte sie sich gekränkt und verbittert auf das Kopfende.
    Und da fiel ihr etwas Ungewöhnliches ins Auge, ein Gegenstand, auf dem ein verirrter Sonnenstrahl funkelte und blinkte. Ein Fläschchen, ein grünes Glasfläschchen stand wie eine Trophäe auf dem Nachttisch. Ihre Neugier war geweckt. Ein Parfüm? Eine Arznei? Sie nahm es an sich und sah, daß es rings um den Korken fest mit Wachs versiegelt war. Sie drehte es um und las die Aufschrift »Liebestrank«. Erstaunlich, dachte sie. Schaffte Nicolas es damit, stets der Beliebteste zu sein? Trank er jeden Tag davon? Oder goß er es in das Glas Wein, das er mit dieser bösen Kurtisane teilte, die zu ehelichen man ihm verboten hatte? Und zog diese ihn deshalb allen anderen Liebhabern vor? Brachte es andere Menschen dazu, einen zu lieben, oder liebte man selbst? Bedurfte es dazu nur eines Tropfens oder der ganzen Flasche? Die Fragen nagten an ihr, und sie bemühte sich, an heilige Dinge zu denken, doch diese teuflische kleine Flasche störte sie in der frommen Andacht. Woher hatte er sie? Gab es noch mehr davon? Verstohlen ließ sie das Fläschchen in ihr Mieder gleiten, und als sie das kalte Glas fühlte, kribbelte ihre Haut, und ihr Herz erbebte. Falls sie jemand bemerkt hätte, als sie geräuschlos entschwebte, hätte er sehen können, daß sich rosige Flecken auf ihren schneeweißen Wangen abzeichneten.

    »Laß Arnaud nachsehen, wer da auf die Haustür einhämmert, Sibille, ich bin viel zu elend zum Aufstehen. Falls es Doktor Lenoir ist, so bestelle ihm, daß sein neues Brechmittel nur grüne Galle zutage gefördert hat und daß meine Gicht schlimmer ist denn je.« Tante Pauline lag stöhnend und kugelrund unter der Bettdecke, hatte allerdings die Laken von ihrem schlimmen Fuß entfernt, denn den durfte nichts berühren, wenn sie einer dieser Anfälle plagte. Bei diesen Gelegenheiten wurde ihr geschnitztes Himmelbett zum Tempel des Leidens, wie sie es nannte, und sie pflegte nach dem Doktor und der Letzten Ölung zu rufen und zu verkünden, daß bald alles vorüber sei. »Und vergiß nicht, der kleine Elfenbeinkasten auf dem Kaminsims ist eigens für dich bestimmt.« Doch Gesellschaft, Getue und Arzneien ließen sie natürlich immer wieder genesen, und sie erhob sich in

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