Die geheime Mission des Nostradamus
Turnierplatz. Vor dem Palast errichtete man eine kunstvolle Tribüne für die hohen Damen und Ehrengäste, und jedes Fenster mit Blick auf die Straße war bereits reserviert und vermietet – einige von geschäftstüchtigen Hausbesitzern gleich zweimal. Tag um Tag Musik, Maskeraden, öffentliche Festmähler, Sport, Bälle, Austeilung von Kleidung und Nahrung: Wer mochte bei solch großem Ereignis wohl traurig bleiben? Und am glücklichsten waren die italienischen Bankiers, die für die Feierlichkeiten eine Anleihe mit hohen Zinsen gegeben hatten, denn durch den letzten Krieg mit dem Kaiserreich war das Königreich so gut wie bankrott.
In den Zimmern der Rue de la Cerisaie verzehrte Scipion Montvert Küchlein von einem Silbertablett und sprach über die Einkünfte aus einer gewissen kleinen Einlage, die ihm Pauline Tournet anvertraut hatte.
»Verdoppelt, meine Lieben, verdoppelt. Das ist eine Einlage, die ich auch für meine teure Mutter getätigt hätte, wäre sie noch am Leben. Bleibt nur noch die Frage, ob Ihr neu investieren, verteilt anlegen oder Euren Gewinn jetzt haben wollt.« Mehrere kostspielige neue Gemälde religiöser Natur blickten ihn von der Wand an. Madame Tournet hatte in einer Laune, die ihr wachsender Wohlstand ausgelöst hatte, alles, was im Zimmer nicht beweglich war, mit Goldfransen verziert.
»Wieviel Zeit haben wir, mein teurer Monsieur Montvert?«
»Das Schiff fährt nächsten Monat, aber es ist noch genügend Zeit, in die Ladung zu investieren. Ich rate jedoch, nicht das gesamte Geld darin anzulegen…«
»Ach ja«, sagte Tante Pauline und lachte stillvergnügt. »Die gefährlichen Piraten.«
»Und ich habe etwas Schönes für Euch: Genau gegenüber der Tribüne habe ich ein Zimmer mit zwei herrlich großen Fenstern gemietet. Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr und Eure Nichte zum Turnier meine Gäste und die meiner kleinen Familie wärt. Mein Schwiegersohn wird seinem Onkel als Knappe dienen. Das ist eine große Ehre.« Montvert blickte ungemein selbstgefällig. »Und wer weiß, Demoiselle Sibille, vielleicht kommt Euch dort die Inspiration zu einem Eurer kleinen Gedichte, die bei den Hofdamen so beliebt sind.«
»Ei, wir nehmen mit Freuden an«, sagte Madame Tournet. »Sibille braucht Abwechslung nach all dem Schmachten um Nicolas.«
»Kopf hoch, die Liebe findet schon einen Ausweg. Ich habe bereits den m aistre d'hostel des Königs um Aufschluß gebeten, ob man möglicherweise einen Straferlaß für ihn erwirken kann… aber das ist eine heikle Sache, wie Ihr gewiß versteht. Und in der Zwischenzeit erlernt er endlich sein Gewerbe.«
»Ich würde auf der Stelle zu ihm reisen, wenn da nicht die Königin wäre«, sagte Sibille, die keinen Bissen von den Küchlein angerührt hatte. »Ich würde ihm barfuß bis ans Ende der Welt folgen. Könntet Ihr mir nicht zur Flucht verhelfen?«
»Wenn Ihr tot seid – und wir übrigens auch –, könnt Ihr kaum zu ihm. Falls Euch nämlich das widerwärtige kleine Ding im Kasten folgt, dann schützt Euch nur noch die Königin vor allen, die es auch haben wollen, und das einzige, was Euch vor der Königin schützt, ist das Ding und ihre Angst, Ihr könntet Euch selbst etwas wünschen. Hoffentlich findet sie nie heraus, daß es zu beschäftigt ist für einen weiteren bösartigen Plan. Wenn sie erst gemerkt hat, daß es nicht mehr funktioniert, dann sitzt Ihr wirklich in der Klemme. Die beste Art, ihren früheren Umgang mit ihm zu vertuschen, dürfte – nun ja – Eurer Gesundheit abträglich sein, leider. Florentiner, meine Liebe, sind eine rachsüchtige Sippschaft, und sie wissen ihre Geheimnisse gut zu wahren – das könnt Ihr mir glauben, denn ich gehöre auch dazu.«
»Was für einen hellen Kopf Ihr doch habt, Monsieur Montvert – er arbeitet wie ein Uhrwerk. Euch entgeht aber auch gar nichts. Noch ein Küchlein?« Tantchen deutete auf das Tablett.
»Ach, sie sind zu köstlich«, sagte Montvert und bediente sich abermals. »Ihr solltet auch eins nehmen, meine Liebe, sonst schwindet Ihr noch dahin. Ihr müßt auch geistig bei Kräften bleiben, Ihr seid nämlich in einer heiklen Lage, und nur Euer Verstand kann Euch da heraushelfen. Wenn man bedenkt, daß selbst ich, ein tölpelhafter Vater, Eure Verbindung zum Hof falsch gedeutet habe.« Er schwieg und verzehrte das letzte Küchlein, dann wischte er sich die Krumen ab, die ihm auf die Brust gefallen waren. »Aber so entzückt ich auch darüber bin, daß Ihr beide tugendhaft und von guter
Weitere Kostenlose Bücher