Die geheime Mission des Nostradamus
Dutzend Türmchen und die gleiche Anzahl Schornsteine zieren. In einer Nische über der Haustür prangt eine hübsche, italienische Madonna mit Kind in leuchtenden Farben, mit echt vergoldeter Krone und Sternen am Saum ihres mitternachtsblauen Überkleides. Das Haus gehört Monsieur Montvert, einem italienischen Bankier, Berater von Königen, Herzögen und eines jeden, der eine Anleihe für einen Krieg, ein neues Anwesen oder eine modische Mätresse braucht. Von den verglasten Fenstern bis zu den wohl versehenen Kellern verströmt es eine Aura von Wohlstand, neuem Geld und einer gewissen selbstgefälligen Zufriedenheit. Alles Dinge, die für den einzigen Sohn des Hauses eine Quelle unendlicher Erniedrigung sind: Jeden Stein des Gebäudes würde er dafür geben, als verarmter, französischer Aristokrat mit altehrwürdigem Stammbaum geboren zu sein und sich den Lebensunterhalt allein mit seinem stets bereiten Rapier und einem spöttischen Witz verdienen zu müssen. Genau in dem Augenblick, als Laurette im Apfelgarten weilte, lag Nicolas Montvert im Streit mit seinem unangenehm begriffsstutzigen Vater.
»… und wenn Ihr ihn schon von Monteverdi zu Montvert abändern mußtet, warum nicht wenigstens de Montvert…«
»Das wäre falsch gewesen…«
»Montvert auch…«
»Nicolas, wechsle nicht das Thema. Ich habe dir bereits gesagt, du fährst nicht mit mir nach Orléans zurück, und damit Schluß. Deine Mutter braucht dich hier…«
»Genausowenig, wie ich hierbleiben muß…«
»Wozu denn? Du hast es verabsäumt, dich bei Monsieur Bonneuil einzuschmeicheln, geschweige denn bei den anderen wichtigen Verbindungen, die ich dir verschafft habe. Wieso solltest du auf einmal… aha! Ich sehe dir an der Nasenspitze an…«
»Meine Nase sieht genauso aus wie sonst.«
»O nein, das tut sie nicht. Du hast dich wieder einmal verliebt. Hattest du dir erhofft, daß du hinter der mageren Verwandten von Madame Bonneuil herschmachten könntest? Unter ihrem Fenster herumlungern und die Mandora spielen? Oder vielleicht Bares aus mir herausquetschen, damit du die Aufpasserin los wirst? Das ist es, ich sehe dir alles an der Nasenspitze an. Sibille Artaud – laß die Finger davon. Die gesamte Familie ist weiter nichts als ein Haufen blaublütiger, verschwendungssüchtiger Blutsauger…«
»Vater, sie ist anders, das erkenne ich an…«
»Nach einer einzigen zufälligen Begegnung? Du weißt ja nicht einmal, an welcher Seite man ins Bett steigt. Du Mondkalb! Solltest du jemals Verantwortung übernehmen und solltest du dir jemals einen achtbaren Platz in der Gesellschaft schaffen, schicken deine Mutter und ich dich zur Verwandtschaft in die Heimat, und dort suchst du dir ein gutes italienisches Mädchen, ein reines Mädchen aus wohlhabender Bankiersfamilie, die nimmst du zur Frau. Bis dahin laß die Finger von übel beleumdeten Personen. Ich zahle keinen sou…«
»Sie ist keine… wie könnt Ihr es wagen! Sie hat eine edle Haltung… sie…«
»Und ich habe von Gondi gehört, daß man sie aufgefordert hat, der Königin bei Hofe aufzuwarten, und was das bedeutet, weißt du: Liebschaften, Mitgiftjagd, vielleicht ein Liebhaber, der zu irgendwelchen höheren, politischen Zielen von der Königin höchstpersönlich ausgesucht wird. Laß die Finger davon, Nicolas. In diese Kreise gehörst du nicht – auch nicht in diesen Sumpf an Verderbtheit. Der verschlingt dich doch auf der Stelle…«
»Ich werde nicht…«
»Und ich sage dir, sollte ich feststellen, daß du dich bei dieser Frau herumtreibst, unterschreibe ich Papiere, die dich als ungeratenen Sohn, der ein Lotterleben führt, in die Bastille bringen…«
Aber, ach, Scipion Montvert hatte in seinem Zorn und seiner Entrüstung genau das Argument vorgebracht, das die Unbekannte in eine beständige Aura von Begehren hüllte und ihr die köstliche Faszination einer verbotenen Frucht verlieh. Nicolas' unberechenbarer Blick, der sich so leicht von einer unzugänglich wirkenden, eleganten jungen Frau einfangen ließ, hing jetzt auf Dauer am Polarstern. Sibille Artaud de la Roque. Hochgewachsen, schlank, in aristokratisches Schwarz gehüllt, hinter ihrem Schleier eine geheime Trauer verbergend, eine Frau von Witz und Gelehrsamkeit, mit altehrwürdigem Namen, und was noch viel besser war, angemessen verarmt. Nur er, Nicolas, der Held, mit seinem kühnen Schwert und dem unerschrockenen Herzen, konnte sie dem üblen Pfuhl des Hoflebens entreißen, in den sie zweifellos durch grausamste Not
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