Die geheime Reise
dein Mädchenclub ist in Sorge wegen deines Umgangs.« Wanja hatte sich wütend umgedreht. Tatsächlich, Britta, Sue und Tina standen auch schon auf dem Schulhof. Als Wanja sah, wie die drei mit offenen Mündern zu ihr und Mischa herüberglotzten, schoss ihr plötzlich die Frage in den Kopf, warum sie eigentlich jede Pause mit ihnen herumstand – und eine mögliche Antwort drängte sich gleich hinterher. Weil sie mit den anderen Mädchen noch viel weniger anfangen konnte. Früher war Wanja meistens mit Jungs zusammen gewesen, aber diese Zeiten waren vorbei. Es schien ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Jungs und Mädchen ab einem bestimmten Alter getrennten Lagern angehörten, es sei
denn, man verliebte sich und machte sich damit zum Gespött der Menschheit.
Jedenfalls hatte sich die Britta-Wanja-Tina-SueGruppe schon im fünften Schuljahr ergeben und war, zumindest was die Pausen anbelangte, auch immer bestehen geblieben. Wanjas Mädchenclub waren die drei allerdings nicht. Ganz bestimmt nicht – und das hätte Wanja Mischa jetzt am liebsten ins Gesicht geschrieen. Aber der hatte sich bereits abgewendet und schlenderte in Richtung Kiosk.
Doch obwohl die Wut über Mischas Bemerkung auch auf dem Heimweg noch an Wanja nagte, ließ sie die Frage, auf die sie vorhin keine Antwort bekommen hatte, nicht in Ruhe.
Wenn ich bloß seinen Nachnamen wüsste, dachte Wanja, als sie mit dem Fahrrad in den Waldweg einbog, der zu ihrem Hause führte. Der schwarze Hund war heute angeleint, kläffend riss er an seiner Kette, bis ihm das Halsband fast die Kehle zuschnürte. Wanja hatte schon ein paar Mal versucht sich ihm zu nähern, aber das hatte ihn nur noch wilder gemacht.
Das Kläffen hinter ihr wurde leiser und Wanja hatte gerade den dritten Knoten des Springseils geöffnet, mit dem Brian – so etwas konnte nur Brian einfallen! – das Tor zu ihrem Garten zugebunden hatte, da schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Sie wusste Mischas Nachnamen! Er stand auf dem Zettel, den Mischa ihr gestern in die Tasche gesteckt hatte. Zum Glück hatte Wanja ihn aufgehoben, er lag in der Schublade ihres neuen Ikearegals.
Mischa Konjow. Mit Schröder auf dem Arm klappte Wanja eine Viertelstunde später das Telefonbuch auf und ließ ihre Finger über die zahllosen K wandern.
Zum Glück gab es den Namen Konjow nur zweimal. Einmal mit den Vornamen Albert und Hildegard, einmal mit der Initiale C. davor.
Bei Albert und Hildegard Konjow meldete sich eine ältere Dame, die Wanja freundlich mitteilte, dass es bei ihnen leider keinen Mischa gäbe, dass sie ihr aber viel Glück bei der weiteren Suche und noch einen schönen Tag wünsche.
Bei C. Konjow meldete sich lange Zeit niemand. Nach dem achten Klingelton wollte Wanja gerade auflegen, als am anderen Ende jemand abhob.
»HALLO!«
In dem kurzen Wort lag so viel Hass, dass Wanja beinahe den Hörer fallen gelassen hätte. Aber in der Stimme lag noch etwas anderes. Wieder musste Wanja an Brittas Bemerkung auf dem Schulhof denken und jetzt auch an Mischas starren Blick im Museum.
»Ich, also … entschuldigen Sie die Störung, ich wollte bitte wissen, ob … ob bei Ihnen ein Mischa Konjow zu sprechen ist. Mein Name ist …«
Weiter kam Wanja nicht. Der Hörer wurde auf etwas Hartes geknallt.
»Ey, du faule Sau«, hörte Wanja die Männerstimme grölen. »Beweg deinen Hintern, da is Telefon für dich!«
Wanja blieben die Worte im Hals stecken, als sie kurz darauf Mischas Stimme am Telefon hörte. »Hallo?«
Das gleiche Wort, doch den leisen, rauen Tonfall trennten Welten von dem des Mannes. Des Vaters?
»Hallo Mischa«, brachte Wanja mühsam hervor. »Ich bin’s, Wanja. Ich …« Wieder wurde sie unterbrochen.
»Ich kann jetzt nicht«, sagte Mischa. »Aber ich habe die Nachricht auch bekommen.«
Mit diesen Worten legte er den Hörer auf.
In den folgenden Wochen, in denen Jo eine Erkältung, Britta einen neuen Rock von ihrem Vater und Wanja einen blauen Brief von Herrn Schönhaupt bekommen hatte, gingen sie und Mischa sich aus dem Weg. Mischa war nicht der Typ, den man einfach ansprechen konnte, jedenfalls erging es Wanja so mit ihm. Es war gefragt, was zu fragen war, es war gesagt, was zu sagen war, und Mischa auf den Mann am Telefon anzusprechen traute sich Wanja erst recht nicht. Doch als endlich der zwölfte Juni da war, steckte in Wanjas Jackentasche wieder ein Zettel. Mischa wollte sie um Viertel vor zwei am Museum treffen.
Eigentlich komisch, dachte Wanja,
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