Die geheime Stunde
Mandanten, als er Willas Bild betrachtet hatte. Als John am Leuchtturm vorbeiblickte, konnte er den Wellenbrecher von Point Heron ausmachen – von hier aus nur als schmale schwarze Linie zu erkennen. Neuigkeiten, die den Fall betrafen … sein Kopf war voll davon, aber er blinzelte, verdrängte den Gedanken. Er dachte daran, mit welchen Worten sein Vater die Unterhaltung beendet hatte, und wusste, dass sie auf seine Unschlüssigkeit in Bezug auf Kate abzielten: »Was willst du dagegen unternehmen?«
»Ja, es gibt Neuigkeiten«, erwiderte er, während die Stimme seines Vaters in seinem Kopf widerhallte.
»Und welche?«
»Brainer befindet sich wieder in einem völlig verlotterten Zustand.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Sein Fell ist verfilzt. Voller Kletten, Disteln und Zweige.«
»Zeit für ein Bad?« Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sei sie über die Wendung des Gesprächs erleichtert.
»Richtig.«
»Seltsam, Bonnie könnte auch eines vertragen. Pfoten und Fell sind völlig verstaubt, irgendein weißes pulveriges Zeug … sieht aus wie Mörtel oder Kalk, und das ist nicht gut für sie. Wird dort drüben gebaut?«
John blickte Bonnie an, dann lächelte er beruhigend. »Oh, waren Sie gerade am Leuchtturm?«
»In der Nähe.«
»Dann besteht kein Grund zur Sorge. Dort wurden unlängst Ausbesserungsarbeiten am Putz durchgeführt, es könnte also Mörtelstaub sein, aber ich habe das Gefühl, dass es sich um etwas anderes handelt: Muschelkalk.«
»Aha.«
»Ja. Vor langer Zeit, als der Leuchtturm noch bemannt war, wurde die Straße oft ziemlich matschig. Die Küstenwache ließ eine ganze Lkw-Ladung Steine und Muschelschalen anfahren, die auf den Weg gekippt wurden, damit die Reifen ihrer Einsatzfahrzeuge besser griffen.«
»Muschelkalk.« Kate lächelte und dachte an die Berge von Austernschalen vor der Hütte ihres Bruders, an all den Staub, den die Bruchstücke hinterließen. Ganz wie zu Hause. »Ich hätte es wissen müssen.«
»Unsere Hunde brauchen also beide ein Bad«, sagte er.
»Autowaschanlage?«
John blieb stehen. Sein Herz klopfte, und er kam sich wie ein junger Bursche vor, der noch nicht trocken hinter den Ohren war. Heute Morgen, als er auf seinem Bett lag, war er der Verzweiflung nahe gewesen. Im Moment hatte er das Gefühl, fliegen zu können. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt; was war nur los mit ihm? Kate lächelte, eine klare Antwort auf seine Frage, und er verzichtete darauf, ihr auf den Grund zu gehen.
»Sie wissen ja, ich wohne gleich dort drüben.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf die Landzunge und das weiße verschachtelte Haus, das bereits seit einem Monat leer stand.
»Haben Sie eine große Badewanne? Brainer ist schließlich ein großer Hund.«
»Stimmt. Ja, die Wanne reicht aus.«
»Na, dann.« Kate pfiff Bonnie herbei.
Er fühlte, wie ein Lächeln sich auf seinem Gesicht ausbreitete, und dann merkte er, wie er ihre Hand nahm. Sie fühlte sich schmal und kalt an, und er rieb sie ein wenig, um sie zu wärmen. Seine Hand war vermutlich genauso kalt, weil sie seinem Beispiel folgte.
Den Wellen und dem Klopfen seines Herzens lauschend, hielt er Kates Hand und schlug mit ihr den Weg zu seinem Haus ein. Als sie die Obstplantage erreichten, sprang er mit einem Satz über den Bach, drehte sich um und streckte ihr die Hand entgegen. Lächelnd schüttelte sie den Kopf und sprang ohne Hilfestellung ans andere Ufer. Er ging weiter, aber plötzlich merkte er, dass sie stehen geblieben war.
Als er sich umdrehte, sah er, wie sie das Wasser anstarrte. Der Bach war nur noch ein spärliches Rinnsal, an den Seiten leicht gefroren.
»Sie sollten ihn im Frühling sehen«, sagte er. »Dann führt der Bach so viel Wasser, dass er fast über die Ufer tritt.«
»Er fließt nach Westen«, sagte sie, unfähig, den Blick zu lösen. Die Hunde blieben stehen, um aus dem Bach zu trinken, die Pfoten voller Schlamm.
John nickte. Es war ihm bereits vor vielen Jahren aufgefallen, aber er hatte es vergessen. »Ja, ich glaube schon.«
»Dass ein Bach nach Westen fließt, ist äußerst selten«, sagte sie. »Wasser fließt gewöhnlich nach Osten, zum Meer.«
»Wir haben eben einen außergewöhnlichen Bach«, sagte er erfreut darüber, dass sie es bemerkt hatte.
»Ich frage mich, ob Willa ihn gesehen hat«, sagte Kate, ohne den Blick zu lösen. »Wir hatten einen in Chincoteague … ich liebte ihn sehr, mehr als Willa oder Matt es taten. Wenn mir nach dem Tod unserer Eltern alles über
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