Die geheime Stunde
rief ihm Barkley, das Familienoberhaupt, zu. »Was führt dich denn zu uns?«
»Mr. O’Rourke, wie geht’s?« Caleb grinste von der Leiter zu ihm herab. »Wir bauen vier neue Gästezimmer, damit wir nächsten Sommer das East Wind Inn ausbauen können.«
»Wo ist Maggie?«
»Deine Tochter?« Barkley runzelte die Stirn. »Wir haben sie nicht gesehen. Wie kommst du auf die Idee, sie könnte hier sein? Was ist denn los?«
John trat näher. Seine Augen brannten, als er seinen früheren Freund ansah. Sie waren schon in der Highschool Kumpel gewesen, Teamkameraden in der Fußballmannschaft, Freunde fürs Leben. Und dann hatte Barkley ihm die Frau ausgespannt, war an dem Abend, als sie starb, mit ihr beisammen gewesen und nach Hause zurückgekehrt, hatte sein Leben fortgesetzt, als sei nichts gewesen. Jetzt stand er vor ihm, mit seinem Sohn und seinem Bruder.
Es hatte Zeiten gegeben, da war der Wunsch übermächtig gewesen – der Drang, genauer gesagt –, Barkley den Schädel einzuschlagen. Aber das war vorbei; Kate Harris hatte eine Veränderung bei ihm bewirkt, hatte die Eifersucht ausgelöscht, die ihn lange gequält hatte. John wollte nur eines, Maggie finden und nach Hause bringen.
»Cool die Scheune, finden Sie nicht?«, rief Caleb, als John näher trat. Seine Stimme klang leicht beunruhigt. John hatte ihn als Anwalt vertreten; vielleicht fürchtete der Junge, dass es Ärger gab, ein Problem, das noch mit seiner Straftat oder den Bewährungsauflagen zu tun hatte. »Wir bauen in allen Badezimmern einen Whirlpool ein. Es wird …«
»Hast du meine Tochter gesehen?« John stand am Fuß der Leiter. Als er hinaufblickte, gewahrte er Calebs besorgte Miene und spürte, wie eine Wut in ihm hochkam, die ihm die Sprache verschlug. John hatte ihm eine schwer wiegende Strafe erspart, und jetzt war seine Tochter verschwunden; er musste gegen den Drang ankämpfen, den Jungen auseinander zu nehmen, damit er endlich den Mund aufmachte.
»Nein, Mr. O’Rourke.« Caleb Jenkins klang erschrocken. »Hab ich nicht.«
»Komm runter da, wenn du mit mir redest. Du hast doch vor irgendetwas Angst, Caleb.«
»Nein, ich schwöre …«
»Du siehst aus, als hättest du ein schlechtes Gewissen, und so klingst du auch, und ich will wissen, warum.« John rüttelte so heftig an der Leiter, dass er dachte, Caleb würde herunterfallen. Wenn er nicht freiwillig kam, würde er ihm Beine machen.
John fackelte nicht lange: Einen Fuß auf der zweiten Sprosse, schickte er sich an, die Leiter hochzuklettern.
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24
K ate und Teddy saßen auf dem Fußboden in Maggies Zimmer und bürsteten die Hunde. Was sollte man auch sonst machen, wenn man darauf wartete, dass jemand – alle – nach Hause kam? Teddy zupfte etliche Hände voll der weichen, weißen Haare von Brainers Fell aus der Bürste, während Kate ihre liebe Not hatte, Bonnie daran zu hindern, sich immer wieder auf den Rücken zu rollen, eine flehentliche Aufforderung, am Bauch gekitzelt zu werden.
Genau in dem Moment fiel die Haustür ins Schloss.
»Ich bin wieder zu Hauuuuuuse!«, ertönte Maggies Stimme.
»Maggie!«, brüllte Teddy.
»Komme schon!«
Die Hunde sprangen bei dem Getöse auf, und Maggie polterte die Treppe hinauf. Teddy und Kate rappelten sich hoch, liefen zur Schlafzimmertür.
»Wo hast du dich herumgetrieben, Fräulein?«, rief ihr der Richter aus seinem Arbeitszimmer nach. »Wir wollten gerade die Nationalgarde verständigen!«
Maggie stürmte ins Zimmer – mit hochroten Wangen und wehendem weißen Schal, einen riesigen, kunterbunten Strauß aus getrockneten Blumen und Besengras in der Hand, den sie bei Kates Anblick fallen ließ, um sich in ihre Arme zu stürzen.
»Du bist hier!« Sie umklammerte Kate. »Nicht nur in Silver Bay, sondern
hier
,
bei uns.«
»Bin ich froh, dich zu sehen!« Kate drückte sie ganz fest.
»Ich habe deinen Brief gelesen und wollte einen Strauß für Thanksgiving pflücken. Ich bin mit dem Rad zum Leuchtturm gefahren und dachte die ganze Zeit ›Kate ist hier, Kate ist hier …‹ Isst du an Thanksgiving mit uns?«
»Wir werden sehen«, erwiderte Kate lächelnd.
»Maggie, hast du eine Ahnung, was für Sorgen wir uns gemacht haben?«, sagte Teddy. »Wir hatten nach der Schule eine Verabredung.«
»Ich weiß, Teddy, aber als ich nach Hause kam, warst du noch nicht da, und nachdem ich Kates Brief gelesen hatte, beschloss ich …«
»Dad ist unterwegs, um dich zu suchen!«
»Was? Normalerweise ist er doch nie um
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