Die geheime Stunde
Mahagoni-Beistelltisch neben seinem Sessel und bückte sich, um den Scotchterrier zu tätscheln. »Sieht so aus, als könnte es die Bestie kaum noch erwarten, spazieren zu gehen.«
»Sie haben es erkannt. Hätten Sie Lust, sich uns beiden anzuschließen?«
»Gerne. Brainer ist auch mit von der Partie – er liebt das Auto. Glauben Sie, Ihr Hund hätte etwas gegen Gesellschaft einzuwenden?«
»Nicht im Geringsten.« Kate nahm eine schwere, dunkelgrüne Wolljacke von der Messinggarderobe, zog sie an und öffnete die Eingangstür. Ein Schwall kalter Luft wirbelte die steile Felswand hoch, drang ins Haus ein. John lief zu seinem Wagen, öffnete die Tür und ließ Brainer heraus. Dankbar rannte der große Golden Retriever im Kreis herum, dann hielt er jäh inne, um Kate und den Scotchterrier zu begrüßen.
»Brainer, das ist Bonnie; Bonnie, das ist Brainer«, erklärte Kate feierlich.
»Brainer strahlt heute Abend vor Sauberkeit, und das verdanken wir Ihnen«, sagte John, der sie beobachtet hatte.
»Das verdanken Sie Teddy«, verbesserte sie ihn. »Er ist sehr verantwortungsbewusst. Sie haben einen netten Sohn.«
»Finde ich auch.«
Die kalte Luft fegte die Felswand hinauf, so dass John seine Jacke enger um sich zog. Es war Oktober, und die ersten Sterne standen funkelnd am Himmel, spiegelten sich in den dunklen Wellen und Kates Augen wider. Er blieb stehen, reglos, erwiderte ihren Blick.
»Wer sind Sie?«
»Das sagte ich Ihnen bereits: Kate Harris. Wissenschaftlerin an der National Academy of Science – in Washington. Ich bin Meeresbiologin.«
John lauschte dem Rascheln der Blätter in den Mastbaumkiefern über ihnen. Wellen krachten tief unter ihnen gegen die Felsen, schleiften loses Gestein über die Moräne, wenn sie ins Meer zurückschwappten. Die Brandung bildete eine schimmernde Linie, wie ein langer weißer Faden, der sich in der Dunkelheit an der Küste entlangzog, unterbrochen von Wellenbrechern, die vom Ufer ins Meer hineinragten, beleuchtet vom wandernden Strahl des Leuchtturms. Es gab hier zweifellos einiges, was für eine Meeresbiologin von Interesse sein könnte.
»Warum haben Sie mich belogen?«
»Habe ich nicht.« Sie reckte das Kinn in die Höhe und sah ihn herausfordernd an.
»Sie arbeiten gar nicht für die Sea and Shore Employment Agency.«
»Das habe ich auch nie behauptet.«
»Sie haben gesagt, dass ich Ihren Scheck dorthin schicken soll …«
»Nein, das haben Sie gesagt«, erwiderte sie mit Nachdruck. »Ich beschloss lediglich, Sie nicht zu korrigieren. Sie haben ständig irgendwelche Vermutungen angestellt – allesamt voreilig und falsch. Da Sie mir keine Chance gegeben haben, den Sachverhalt zu klären, hielt ich es für besser, Sie in dem Glauben zu belassen.«
»Sie sagten, Sie wären wegen des Jobs gekommen!«
»Nein!« Kate schüttelte heftig den Kopf. »Ich sagte, ich würde bei Ihren Kindern bleiben, das ist alles. Als ich vor Ihrer Haustür stand, war die Polizei da, Sie bluteten aus einer Kopfwunde, und Teddy und Maggie waren völlig außer sich. Sie brauchten Hilfe.«
»Sie hätten mir sagen sollen, dass Sie kein Kindermädchen sind.«
»Das ist mir inzwischen auch klar geworden. Aber es herrschte das reinste Chaos – ich wollte wirklich nur helfen. Und da ich weiß, dass ich vertrauenswürdig bin, dachte ich, es sei später noch Zeit für Erklärungen.«
Das East Wind und das angrenzende Areal mit dem Leuchtturm maßen etwa sieben Hektar, so dass Kate Bonnie von der Leine ließ. Die beiden Hunde rannten gemeinsam los, schnüffelten an jeder Hecke und umrundeten riesige Granitfelsen. John hörte, wie sie durch das Laub auf dem Boden scharrten; er erinnerte sich an Herbstspaziergänge mit Brainer und Theresa, und sein Herz verhärtete sich. »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was sie um acht Uhr morgens bei uns wollten.«
»Ich weiß.« Sie holte tief Luft.
»Also?«
Kate ging in die Hocke und rief Bonnie herbei, indem sie in die Hände klatschte. Brainer reagierte ebenfalls, und sie belohnte beide mit einem Leckerbissen aus der Tasche ihrer Wolljacke. John stand neben ihr, blickte auf sie herab, ihr Gesicht lag im Schatten. Ihre Wangenknochen waren hoch und zart, ihre Augen leuchteten.
»Und Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie es Ihnen gelungen ist, schnurstracks nach oben zu gehen und an die richtige Zimmertür zu klopfen«, entgegnete sie.
»Ich habe den Sohn der Familie Jenkins im letzten Jahr als Anwalt vertreten. Er hatte sich das
Weitere Kostenlose Bücher